Foto: Das Ensemble spielt vor dem Orchester. © Monika Rittershaus
Text:Roland H. Dippel, am 22. Dezember 2025
Die Komische Oper Berlin wiederentdeckt mit „In Frisco ist der Teufel los“ ein weiteres Werk aus der DDR. Inszeniert von Martin G. Berger, begeistert die Opererette von Guido Masanetz mit guten Verknüpfungen zwischen Nostalgie und Gegenwart.
Sie ist stahlblond, eisenhart, kaltblütig und immer perfekt gestylt: Xonga Miller, genannt Mrs. X oder Xonga Stalin. Dürrenmatts alte Dame Claire Zachanassian und Disney-Dämoninnen wie Cruella de Vil sind ein zahmes Säuseln gegen die Fantasbilliarden-Schröpferin, die mit Vorliebe Gold gurgelt und zum besseren Befinden gern ganze Scharen von unterbezahlten Lohnabhängigen feuert. „Xonga kann jung oder alt, dünn oder fett sein – eines aber muss sie sein: faszinierend! Je außergewöhnlicher sie ist, desto größer ist Browns Sieg über sie“, schrieben Otto Schneidereit und das Dramaturgie-Team um 1960 im Ostberliner Metropoltheater im Schatten des Mauerbaus über ihre antikapitalistische Kopfgeburt.
Auf LP hatte besagte Xonga die Stimme der Brecht-Renommierdiseuse Gisela May und dominierte in einer der wichtigsten Operetten- respektive Musical-Erfindungen der DDR einen Cast von Stars. Im Schillertheater macht jetzt Christoph Marti mit seiner unnachahmlichen Persönlichkeit alle Autorenwünsche wahr – für den genderdemokratischen Zeitgeist von heute. Er richtet das korrupte Krönchen und faucht. Wie alle anderen wurde er prächtig und dramaturgisch stimmig couturiert von Esther Bialas.
Gelungene Wiederentdeckung
„In Frisco ist der Teufel los“, gleichermaßen Noch-Operette und Fast-Musical, erlebte die Endfassungsuraufführung 1962. Das Paradewerk war bis zur Wiedervereinigung in der DDR mit über 60 Inszenierungen ein Repertoire-Hit, verschwand dann wie vieles andere und wurde in der müden Aufführung der Musikalischen Komödie Leipzig 2015 zum 101. Geburtstag des wenige Monate später verstorbenen Komponisten Guido Masanetz leider kein Ruhmesblatt. Jetzt erntete es Ovationen im Schöne-Bescherung-Format „Weihnachtsoperette“ der Komischen Oper. Zum Beispiel begann da mit der Wiederentdeckung von Paul Abrahams Operette „Märchen im Grand Hotel“ deren neuer Siegeslauf. Das scheint auch für „In Frisco ist der Teufel los“ wahrscheinlich.
Kai Tietje am Pult und Martin G. Berger machten ohne besserwisserische Korrekturen am Original und mit gewitzten Aperçus zur sozialistischen Kulturtheorie klar: Das DDR-Schaffen klingt gar nicht hausbacken. Es fetzt sogar. Dirigat und die intelligente wie virtuose Regie beweisen, dass San Francisco und Ostberlin doch recht nah beieinander liegen. Der Sound des 1914 im heutigen Tschechien geborenen Guido Masanetz ist mit heutigen Hörerwartungen bestens kompatibel.
Die DDR-Bevölkerung wollte im Schatten der Mauer vom gelobten kapitalistischen Ausland träumen. Die DDR-Oberen geißelten die Schattenzeichen im Westen dagegen als kapitalistisches Teufelswerk. So wurde für „In Frisco ist der Teufel los“ in der Erstfassung „Wer braucht Geld?“, dann unter dem Arbeitstitel „Hotel Nevada“ mit Supervision durch den DDR-Operettenpapst Otto Schneidereit und dann von Maurycy Janowski teils tendenziös, teils subversiv auf das Feindbild der „kapitalistischen Verblödungsindustrie“ eingepeitscht.
Zeitgemäße Darstellung
Wenn Sophia Euskirchen als Bar-Bedienung Virginia mehr freche Lebenserfahrung spielt als das Klischee des „frischen Ostmädels“, wird die respektvoll raffinierte Haltung der Aufführung deutlich. Berger klopft den Text auf den Kern hinter der auf den ersten Blick konformen Handlung ab. Er setzt Fantasie ohne Cancel-Ambitionen, bewahrt den Entstehungsort DDR als die Dekoration bereichernde Hintergrundebene. Alexander von Hugo macht als positiver Held Anatol Brown mit ein bisschen „Fluch der Karibik“-Flair die etwas naive wie moralisch richtige Haltung deutlich. Videoprojektionen zeigen den Alex und den Kanal bei Friedrichshain und Nobelhotels der DDR, damit die Assoziationen dem jüngeren Publikum klar werden. Prachtvolle Figuren setzt das Ensemble mit der in knapper Probenzeit perfektionierten Choreographie von Martina Borroni und Marie-Christin Zeisset (Stepptanz).
Tobias Joch ist als Matrose Kay ein bisschen smart, aber auch ein bisschen „Querelle“. Alma Sadé – was für eine Übereinstimmung von Plot und New Yorker Oberbürgermeisterwahl – gibt als Chica eine wunderbare Gewerkschaftsvertretung. Christoph Späth als korrupter Kapital-Executive Ben Benson und Hans Gröning als für den Altersruhesitz reife Arbeitsleiche Jonas agieren im Sinne des Stücks mit pikantem Aktualitätsbezug, der alte Operette jung macht. Genau wie Kai Tietjes intelligente musikalische Durchdringung: Das Orchester der Komischen Oper unterzieht die melodramatische Verdickung der DDR-Einspielung unter Robert Hanell einer superben Verschlankung – mit gepfefferten Bläsersätzen und prima Choreinwürfen (Leitung: Inge Diestel) nicht nur beim Kampfsaufen um den Oppositionshotspot Hotel Nevada.
Ostalgie und Nostalgie – das belehrt diese Produktion – verhinderten bisher eine passende Auseinandersetzung mit dem heiteren DDR-Musiktheater. Diese gewinnt durch den Zugriff einer mehr unbefangenen Generation enorm. Begeisterungsstürme.