Foto: Eine der vielen intensiven Liebschaften von Magda (Elif Aytekin), hier: mit Prunier (Robert Bartneck). © Marie Liebig
Text:Roland H. Dippel, am 30. November 2019
Das Staatstheater Meiningen spielt Puccinis lyrische Komödie, die er mitten im Ersten Weltkrieg aus dem Operettenauftrag des Carl Theaters Wien für die Uraufführung in Monte Carlo 1917 machte, in der ersten Fassung. Da bleiben die Erwerbsbeziehung und der Paar-Zoff der Kurtisane Magda, die an der Seite des Bankiers Rambaldo wie eine Nachtigall im goldenen Käfig lebt, noch Beiwerk. Denn es fehlt die später nachkomponierte Szene, in welcher Rambaldo (hier leider nur wenig gefordert: Tomasz Wija) Magda wieder den Platz an seiner Seite anbietet, als sich deren Romanze mit dem komponierenden Studenten Ruggero dem Ende zuneigt. Dadurch ist „Die Schwalbe“, deren dritter Akt auffallend den des „Zarewitsch“ vorwegnimmt, weitaus zutreffender das, was Otto Schneidereit, bezogen auf die späten Lehár-Werke, eine „Entsagungsoperette“ nannte. Denn für Magda bedeutet der Ausbruch mehr als die schönste Nebensache der Welt. So wie sie in Meiningen schon kurz nach Beginn des Abends ihren Beziehungsüberdruss in den Salon dröhnt, hätten weniger geduldige Männer als Rambaldo sie schon längst vor die Tür gesetzt.
Das Meininger Ensemble serviert dieses wunderbare, eher mit Strauss‘ „Capriccio“ als Kálmans „Csárdasfürstin“ vergleichbare Musiktheater über das Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit mit Schwung und manchmal auch Eleganz. Das Staatstheater an der Schwelle zu Franken zeigt blonde Chorsängerinnen, die mit Vorliebe Schlagsahne auf makellose männliche Oberkörper sprühen, mit dem Finger im Weißen herumbohren und daran lecken. Bei solchen Momenten lenkt Regisseur Bruno Berger-Gorski gern ab vom Wesentlichen, nämlich dem allerleidenschaftlichsten Flirt Magda(lena)s mit dem Bürgersohn aus gutem Haus. Projektionen zeigen immer wieder eine Schwalbe im Gleitflug unterm Firmament. Am Ende brennt lichterloh der Flügel, auf dem der Salondichter Prunier Magda begleitet, als diese eine Romanze von ihrer Vorliebe für zärtlich küssende Studenten singt. Da trägt Magda noch rote Armhandschuhe, im zerwühlten Bett später rote Dessous. Und Prunier (Robert Bartneck), der seine Vorliebe für zügellose Femme fatales nur mit sozial niederstehenden Frauen verwirklichen kann, findet – konzeptionelles Kalkül – als einziger nicht aus etwas vernebelten Tönen heraus.
Puccinis „La rondine“ ist längst nicht so unbekannt wie oft behauptet. Trotz einiger Fallstricke bewährt sich Bruno Berger-Gorskis Inszenierung weit über der von Rolando Villazon an der Deutschen Oper Berlin 2015 hervorragend. Denn Berger-Gorski wühlt in den Psychen – zumindest während des letzten Spieldrittels. Die Fadesse des Salons, aus dem Magda sich später mit tief sitzendem Hütchen und großer Sonnenbrille auf die erotische Pirsch begibt, hat Bühnenbildner Helge Ullmann mit gezackten Wänden umgeben. Der erste Akt vergeht monoton und man versteht nur zu gut, warum Magda das Abenteuer braucht. Kostümbildnerin Françoise Raybaud zwängt Frauen in Taillen-Kleider und Männer in Sakkos, als ginge es um nichts als Couture-Fassaden. Magda ist also Lava in der Asche ihrer Umgebung, während ihre dekorativen Schicki-Freundinnen mit routinierten Operettenposen die Ödnis vergrößern, aber nicht versüßen.
Im zweiten Akt wird das anders. Da sind Bühne und Kostüme schwarzweiß, wenn sich alle Geschlechter ihre käuflichen oder für gratis willigen Gespielen suchen und das Ballettensemble des Landestheaters Eisenach in den Show-Walzer mondäne Lüsternheit legt. Choreograph Andris Plucis hatte bei den Flirt- und Balz-Attacken sicher einiges zu tun. Unter den recht statuarischen Chor (Einstudierung: Manuel Bethe) mixte Berger-Gorski belebende Charakterchargen, etwa nach dem Muster „Komische Alte sucht knackiges Frischfleisch“. Hier bläht sich der Lachsack auf und das reicht dann für den Abend. So klafft zwischen dem Blick ins Innenleben der Figuren und dem Sprung in ihre diversen Abenteuer ein Riss. Da steht die Hausfrau, Geliebte und Kokotte Magda oft regungslos, wohingegen die souverän draufgängerische und den Abend mit einem Schwung extrovertierter Bodenständigkeit rettende Regine Sturm als Zofe Lisette etwas von jenem Flair ins Stück bringt, den die meisten im Saal von einer „echten“ Operette erwarten.
Elif Aytekin ist als Magda gerade deshalb so betörend, weil sie auf der Bühne minimal älter wirkt denn als Privatperson: Sie hat zum Glück nicht die typisch cremige Puccini-Stimme. Das überlässt sie lieber dem neuen Kollegen, dem Tenor Alex Kim, der betörend jugendlichen Schmelz, aber hier noch überhaupt keine Casanova-Routine hat. Sogar im Abschleppschuppen kritzelt er als Ruggero Noten und das Liebesnest an der Riviera macht er zum Musikstudio, dessen Wände mit Partiturseiten behängt sind. Elif Aytekin siegt mit großartigem Spiel, das die plakative Exaltation der Inszenierung veredelt.
Stilkundig und brillant dazu die Meininger Hofkapelle. Dirigent Leo McFall beginnt dezent, als sei Puccini der Zwillingsbruder von Britten; dann lässt er die Leidenschaft fast penetrant wogen. So wird aus „La rondine“ eine eigentlich Puccini-untypische musikalische Geschichte: Die Walzer und Klangfarben haben etwas leicht, deshalb gekonnt Schäbiges, aus dem Momente des Begehrens und Gewährens mit Pomp herausschnellen und dann doch in einer Zärtlichkeit fluten, dass man „La rondine“ für Puccinis mit Abstand betörendstes Werk halten muss. Auf der musikalischen Seite erlebt man die schöne, dumme Liebe unwiderstehlich, während auf der Bühne viele Geldscheine und Colliers von Hand zu Hand wandern. Theoretisch ist die Regie über die Gattung Operette also bestens informiert.