Foto: Ensembleszene mit Mingjie Lie als Saëb (in der Sänfte) und Brenda Rae als Maïma (rechts) © Monika Rittershaus
Text:Tobias Gerosa, am 24. Oktober 2022
Muss man ein Stück, das 160 Jahre vergessen war und nun als Meisterwerk wiederentdeckt wird, dem Publikum einmal einfach vorstellen, bevor man es zu interpretieren beginnt? Am Opernhaus Zürich scheint Max Hopp das bei Jacques Offenbachs „Barkouf“ gedacht zu haben und vergisst, dass es gar nicht möglich ist, nicht zu interpretieren.
Nach Strasbourg und Köln kommt diese Opéra-comique nun also zum dritten Mal wieder auf die Bühne. Wie bissig das Stück sei, wie aktuell, hieß es im Voraus. Zu erleben ist davon leider wenig. Pittoresk steht die Bevölkerung von Lahore da, öffnet sich im Opernhaus der Vorhang. Von der Gefahr, welche die Paukenwirbel und die stockenden, tiefen Bläsern in den allerersten Takten evozieren, keine Spur. Da wird Plastikgemüse herumgereicht, Turbane und Lanzen spazieren geführt und schön frontal ins Publikum gesungen: Lahore, wie es sich die Operette vorstellt? Klanglich kommt das dem Chor der Oper Zürich vielleicht entgegen, er klingt, einstudiert von Ernst Raffelsberger, präsent und differenziert. Szenisch aber wird er nicht gefordert.
Bei Offenbach war klar, dass er mit dem exotischen Setting natürlich etwas anderes meinte – darum wurde das Stück auch zensiert. Wenn hier statt den ständig von Aufständischen aus dem Fenster geworfenen Gouverneuren ein Hund eingesetzt wird als oberste Autorität, geht es um Fragen der Macht und wie sie korrumpiert. In Zürich erinnert höchstens Marie Caroline Rössles Treppendrehbühne als brutalistische Imitation des nahegelegenen S-Bahnhofs Stadelhofen an unsere Zeit und Gesellschaft.
Brave Orientklischees
Von Max Hopps Inszenierung wird sich niemand angegriffen fühlen. Brav werden da die Orientklischees ausgeführt, wird zu den schnellen Noten getippelt und sich zu den Dreiertakten gewiegt. Hopp kommt zwar vom Schauspiel, sein „Barkouf“ fällt jedoch sehr opern- oder operettenhaft aus und beeindruckt nicht einmal nur durch den Umgang mit den Dialogen.
Die sind eh gestrichen. Fast jedenfalls. Statt den gattungstypischen gesprochenen Teilen hat Hopp einen Erzähler eingefügt, der – er stellt sich nach den ersten Nummern vor – Schausteller, spezialisiert auf Tierdarstellungen, sei. Ausser dass er gelegentlich bellt, spielt das aber keine Rolle. Eher wirkt er wie ein gemächlicher Märchenonkel, der längliche Texte von beschränkter Lustigkeit vorträgt, immerhin ohne Mikroport. André Jung lässt immerhin gelegentlich seinen Schalk durchscheinen. Bezeichnenderweise gelingt ihm der beste, weil lebendigste Witz, als er sich in der Premiere vom gegebenen Text (im Programm abgedruckt) löst und Sunnyboy Dladla als “Einspringer“ anspricht, der er war (als Rebell Xaïloum).
Mit gereimter Moral
Der Erzähler spielt etwas mit der Fiktion, wenn er die Sänger mit ihren realen Vornamen anspricht und ihnen verbietet, in sein Gehege zu treten und zu sprechen (oder dann wenigstens nicht auf Deutsch) und er tritt auch am Schluss aus der Rolle, wenn die Handlung nur noch in brechtschen Textfahnen zu Ende geführt sowie das Publikum direkt angesprochen und gereimt(!) die Moral verkündet wird. Man hätte sie lieber theatral vorher selber erkannt – oder eine Inszenierung gesehen, die sich konsequent für solche V-Effekte entschieden gehabt hätte. So wirken die acht TänzerInnen (Choreographie: Martina Borroni) in den Bewegungsmustern wie den Glitzerkostümen wie Kopien aus einer Kosky-Inszenierung und die Personenführung beliebig. Regie als Organisation der Auftritte mit Herausstehlen selbst aus dem Erzählen der Handlung, das ist schliesslich doch wenig.
Marcel Beekman wirbelt in seinem Aufzug mit Helge-Schneider-Perücke und falschen Brüsten operettenhaft, wirkt als Figur des machtgeilen Bösewichts Bababeck dabei aber harmlos. Stimmlich sticht sein Charaktertenor auch in den grossen Ensembles im schnellen Plappernoten klar heraus. Auch kommt er mit der französischen Sprache mit am besten zurecht. Gefährlich wird die Figur so wenig wie der lächerlich ausgestopfte, gleichwohl bassprofunde Grand Mogul von Andreas Hörl oder die Schultheaterrebellen um Xaïloum. Vokal sitzt da alles – aber zünden tut wenig.
Da stehen die Frauen besser da, auch wenn sie szenisch nicht beschäftigter sind. Brenda Rae glänzt als Maïma mit Koloraturen und Trillern und weiß vor allem, wo sie die Stimme auch zurücknehmen kann. Szenisch agiert sie aber zu reserviert, als dass man der Figur abnehmen würde, dass sie das Heft als Übersetzerin des Bellens des Gouverneurs in die Hand nimmt. Mit dem szenisch seltsam uneingebundenen Liebhaber Saëb von Mingjie Lei, den sie schliesslich dank des Hundes wiedergewinnt, sorgt Rae jedoch für die musikalisch intensivsten, innigsten Momente des Abends, während Rachael Wilson als Balkis zwar rein durch ihre vokale Präsenz eine starke Figur abgibt, dabei aber oft zu dominant singt.
(Zu) viel große Oper
Jérémie Rhorer, der zum ersten Mal die Philharmonia Zürich leitet, tut dagegen wenig. Die Partitur verlangt ein großes Orchester. Das ergibt viele Farben und aparte Mischungen, Soli von Cello oder Klarinette, die schön ausgekostet sind. Die Tempodramaturgie baut geschickt auf und bleibt dabei flexibel. Allerdings gibt er klar der großen Oper den Vorrang, da ist deutlich mehr „Contes d’Hoffmann“ zu hören als etwa „Orphée aux Enfers“. Das ist eine durchaus mögliche Lesart, nur passen die eher kleinen Stimmen nur beschränkt dazu. So gerät die Dynamik, wie auch die Balance bei den hier kaum schauspielerisch, sondern immer arienartig verstandenen Couplets öfter in Schieflage.
Zwar bellt der Erzähler immer wieder ins Mikro und der Hunde-Gouverneur wird als Schattenriss in einer Art Laterne sichtbar, dennoch bleibt dieser „Barkouf“ in Zürich – zahnlos.