Das Ensemble sitzt verstreut in einer retro-chic eingerichteten Hotel-Lobby.

Neue alte Welt

Paul Abraham: Märchen im Grand-Hotel

Theater:Theater Nordhausen, Premiere:29.11.2024Regie:Matthias KitterMusikalische Leitung:Julian GaudianoKomponist(in):Paul Abraham

Paul Abrahams Operette „Märchen im Grand-Hotel“ besticht am Theater Nordhausen durch gute Musik und schönes Bühnenspiel, trotz Umbau. Die Inszenierung von Matthias Kitter kredenzt dem Publikum einen unterhaltsamen Abend.

Die Idee überstrahlt die Nebenwirkungen: Paul Abrahams 1934 gerade noch in Wien uraufgeführtes „Märchen im Grand-Hotel“ auf den Spielplan zu setzen, das ist allemal eine gute Idee. Es ist eine von den Lustspiel-Operetten jüdischer Autoren, die die Nazis zu versenken versuchten und deren Wiederbelebung durch den Ex-Intendanten der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky noch nicht allzu lange zurückliegt.

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Wie in Berlin wird das Theater auch in Nordhausen saniert. Hier spielt man im „Theater im Anbau“. Mit kleiner Orchesterbesetzung und mikrofoniert. Es ist tatsächlich der neue technische Anbau. Das Theater aus dem Jahr 1917 wird vor allem im unsichtbaren, aber überlebensnotwendigen Bereich (und im Zuschauerraum auch im Wortsinn) aufgemöbelt. Die Idee, diesen Anbau einstweilen gleich als Ausweichspielstätte zu nutzen, ist verblüffend. Vor allem mit Blick auf den absurden Stopp der Sanierung der Komischen Oper in Berlin und den mittlerweile in den Milliardenbereich aufgeblähten Theaterumbauwahnsinn besonders in Stuttgart oder Frankfurt. Offensichtlich ist man hier in der nordthüringer Provinz deutlich kreativer als in den Metropolen.

Der Raum in diesem Anbau mit seiner Sichtbetonanmutung hat natürlich seine Nachteile. Das ausgedünnte Loh-Orchester Sondershausen spielt unter Leitung von Julian Gaudiano hinter der Szene, also den Protagonisten. Die singen wiederum so mikroverstärkt, dass man der Technik zurufen möchte: weniger Saft wäre mehr. Aber da kann man mit Gewinn für den musikalischen Drive sicher nachjustieren.

Zeitlos perfekt

Schon, weil die schmissige und sofort eingängige Musik von Abraham (1892-1960) eh das Beste an dem Stück ist. Wenn man ihr denn den Raum lässt, und nicht so exzessiv auf die gesprochenen (bzw. zum Slapstick überdrehten) Passagen setzen würde. Das Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda ist so zeitlos perfekt gebaut, dass der Plot für sich genommen immer noch funktioniert. Trotz der Ballung von Geschlechter-, Adels- und Filmbranchenklischees. Inklusive jäher Wendungen und ein paar eingeschmuggelter Modernismen („fakenews“).

Das Happyend gehört nicht nur in Hollywood zum Standard, sondern wird natürlich in dem Film, um den es in der Handlung geht, und für die Operette selbst auch geliefert. Das Genre lebt schon immer davon, dass sich seine Protagonist:innen neben der Wirklichkeit am wohlsten fühlen. Wobei sich Isabella, also die spanische Infantin im französischen Hotelexil und Albert der Hotelerbe im Kellner-Inkognito, für dieses Happyend auch sozial aufeinander zu bewegen. Sie wird Filmstar und er kauft sich beim Adel ein.

In Nordhausen setzen Matthias Kitter (Regie), Emma Gaudiano (Bühne) und Anja Schulz-Hentrich (Kostüme) bei ihrem Ausflug nach Hollywood und an die Côte d’Azur schon wegen der kargen Bühnenvoraussetzungen nicht auf die große Revuegeste und Ausstattungsopulenz für die Luxusherberge. Sie bauen auf ein höchst praktikables Dreh-Bühnenbild, das zwischen dem Office-Bereich eines Filmstudios und einer Hotellobby mühelos wechseln kann.

Eine Prise Slapstick mehr

Der Chef der kurz vor einer Pleite stehenden Filmgesellschaft Sam Macintosh (Florian Tavic) sucht nach passenden Stoffen fürs Überleben. Seine clevere Tochter Marylou (Julia Steingaß) hat dafür die so schräge wie zündende Idee: Sie will in einem Grand-Hotel in Cannes, mit den dort logierenden Vertretern des abservierten europäischen Hochadels einen Film drehen, bei dem diese Herrschaften sich selbst spielen. Reality Cinema sozusagen.

In diesem Hotel ist Marian Kalus der als Zimmerkellner ziemlich unbrauchbare Albert. Er ist in die thron- und mittellose spanische Infantin Isabella (Yuval Orens) verknallt. So wie sie ihren Status mit Stummfilmpathos übertreibt, hält er es mit dem dauerbalzenden Männchen. Überhaupt setzt die Regie darauf, dass sich eine Prise Slapstick mehr bei jedem Figurenporträt automatisch in mehr Amüsement umsetzt. Meistens klappt das sogar. Mehr bei Funda Asena Aktop als Gräfin Pepita Inez de Ramirez oder bei Rina Hiramyama als Isabellas Beinahe-Bräutigam Prinz Andreas Stephan. Nicht ganz so bei Benjamin Prins als Großfürst Paul Michael oder Sven Mattke als Hoteldirektor. Was durchgängig als passgenaue Staffage funktioniert ist der von Markus Fischer einstudierte Chor, der sich in seiner Eleganz imitierenden Kostümierung sichtlich wohl fühlte. So wie das Premierenpublikum, das einhellig applaudierte.