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Das Wunder der Transparenz

Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:21.11.2013Regie:Krzysztof WarlikowskiMusikalische Leitung:Kirill Petrenko

Was für ein Start: Am 21. November 1963 war das wiedererbaute Münchner Nationaltheater mit Richard Strauss‘ Mysterien-Opern-Brocken „Die Frau ohne Schatten“ eröffnet worden. Und nun, auf den Tag genau 50 Jahre später, gab Kirill Petrenko als neuer Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper hier seinen Einstand – mit der „Frau ohne Schatten“. Das Publikum lag ihm nach der Premiere jubelnd zu Füßen, als Kritiker möchte man sich glatt dazulegen. Dass diese aufgrund ihrer ausufernden Märchen- und Mysteriensymbolik eher selten gespielte Oper ein ziemlich massives Klanggebirge ist, hat sich ja inzwischen herumgesprochen. Petrenko aber führte den verzückten Zuhörern nun vor Ohren, wie viele liebliche Täler, impressionistisch glitzernde Gletscher, filigrane Formationen in diesem Gebirge zu entdecken sind. Was er mit dem grandios musizierenden Bayerischen Staatsorchester zuwege brachte, war ein wahres Wunder an Differenzierung, Transparenz und – zu gegebener Gelegenheit – lyrischer Verinnerlichung. Petrenko hat an diesem Abend Strauss‘ „Frau ohne Schatten“ neu erschlossen. Und er hat die begeisterten Zuschauer auf diese Entdeckungsreise mitgenommen. Allzu oft erlebt man so etwas nicht!

Wenn doch nur der Regisseur dieser Produktion vergleichbar neugierig und tiefenscharf in der Analyse gewesen wäre. Doch leider erschöpft sich die Inszenierung des zuletzt vielgelobten und hochgehypten Krzysztof Warlikowski in nett anzusehenden Belanglosigkeiten. Zu Anfang fängt nicht die Oper an, sondern wir sehen Sequenzen aus Alain Resnais’ Film „Letztes Jahr in Marienbad“. Da glaubt man noch ein Konzept und denkt: Aha, ja, eine rätselhafte Liebesgeschichte, noble Décadence, die Müdigkeit einer zukunftslosen Oberschicht oder so. Was ja als Interpretation für Hofmannsthals Märchen von der unfruchtbaren Kaiserin und dem pflichtvergessenen Kaiser, von der karrieresüchtigen Proletarierin und ihrem überangepassten Gatten durchaus weiterführen könnte. Und was sich durch das Sanatoriums-Ambiente des Bühnenbildes zu bestätigen scheint.

Warlikowski führt aber nichts weiter. Malgorzata Szczesniaks Ausstattung, ihre surrealen Kostüme und das noble riesige Edelholzfoyer, das sich immer wieder zu weißen Tagtraumräumen öffnet, die von Felice Ross sehr atmosphärisch ausgeleuchtet und von Denis Guégiun und Kamil Polak effektvoll durch Videos bespielt werden – ja: all das sieht richtig gut aus. Doch statt eine interpretatorische Schneise durch den Strauss-Hofmannsthalschen Symboldschungel  zu schlagen, nutzt Warlikowski die Motive dieses Dschungels lediglich, um die Bühne zu dekorieren: mit falkenköpfigen Kindern und gichtgebeugten Greisen, Wäldern und Unterwasserszenarien und allerhand Alptraumgestalten, sehr pittoresk, aber nie zwingend verdichtet in der metaphorischen Bedeutung. Am Ende erobern die Kids in buntem Räuberzivil die Bühne, per Video umgeben von Comic-Helden, und Familie Barak feiert am Biedermeiertisch Versöhnung mit Familie Kaiser. Dass man mit soviel Aufwand so wenig an Interpretation, Präzision und Haltung erzielt – auch das erlebt man eher selten.

Musikalisch aber wäre der Abend perfekt gewesen – wenn die Staatsoper Petrenko eine erstklassige Sängerbesetzung zur Verfügung gestellt hätte. Davon aber kann allenfalls in Teilen die Rede sein. Ausgerechnet Wolfgang Koch in der Partie des oft so derb gezeichneten Barak war derjenige, der die von Petrenko eröffneten lyrischen Freiräume am besten zu nutzen wusste. Er könnte für diese Partie ein bisschen mehr Wucht mitbringen, aber seine Phrasierungskunst, Ausdruckskraft und deklamatorische Innigkeit sind überragend. In Elena Pankratova hat er eine klangschöne, hell und klar timbrierte Partnerin, der freilich am Ende die vokale Größe der wahrlich groß mit sich ringenden Färberin fehlt. Adrianne Pieczonka ist eine sehr dramatische Kaiserin, in Vibrato und Stimmführung oft verwabert, aber zum Ende hin doch empathisch mitreißend. Die einst wunderbare Sopranistin Deborah Polaski hingegen sollte sich die so attraktiv changierende, aber auch sehr fordernde Partie der Amme nicht mehr zumuten; sie ist ihr in fast allen Belangen nicht mehr wirklich gewachsen. Und Johan Botha blieb als Kaiser Johan Botha – Darstellungskunst und vokale Wandlungsfähigkeit dieses Tenors bewegen sich in engen Grenzen, aber wie er so eine wirklich haarige Partie gewältigt, bleibt eindrucksvoll.

Unbedingt erwähnt werden muss noch, dass die Staatsoper dieses Riesenwerk – von Sebastian Holeceks markantem Geisterboten bis hin zu den Stimmen der Ungeborenen – hervorragend durchbesetzt hat, das war wirklich eine Freude! Auch der von Sören Eckhoff einstudierte Chor machte seine Sache glänzend. Am Ende Jubel für alle und Ovationen für den neuen GMD.