Kino: Seneca

Es dürften einige Liter Kunstblut geflossen sein für die Dreharbeiten von Robert Schwentkes neuem Historienfilm „Seneca“. Gewalt und blutrünstige Grausamkeiten sind darin mindestens so präsent wie das philosophische und politische Wirken des Titelhelden. Dennoch lohnt sich, jedenfalls für Hartgesottene und Fans theatraler Filminszenierungen, dieses Werk durchaus: weil es seinen Zuschauer:innen vor Augen führt, welch zwiegespaltene Persönlichkeit dieser Philosoph mutmaßlich war. Und weil der Film mit seiner internationalen Starbesetzung rund um den großartigen John Malkovich schauspielerisch extrem gut gelungen ist: Etwa mit Wolfram Koch (Fabius), Samuel Finzi (Status) und Louis Hofmann (Lucilius) sind auch bekannte deutschsprachige (Theater-)Schauspieler:innen in Bestform dabei.

Abscheulich böse gezeichnet ist vor allem der römische Kaiser Nero, für den Seneca vor rund 2000 Jahren bekanntlich so etwas war wie ein Spin-Doctor für heutige Politiker. Seneca gilt als einer der wichtigsten Philosophen des antiken Roms und als einflussreicher Dramatiker, wenngleich seine Tragödien heute kaum noch gespielt werden. Gerade für sein Bemühen um einen mildernden Einfluss auf den immer tyrannischeren Nero (im Film beeindruckend verkörpert von Tom Xander als sadistisches Kind mit übergroßer Macht), ist er noch heute bekannt. Dass er aus Angst, erneut ins Exil zu müssen (aus dem ihn Neros Mutter Aggripina einst befreit hatte), Neros Macht mit seinen opportunistischen Reden maßgeblich flankierte, fällt gerne mal unter den Tisch, wird im Film aber durchaus klar gemacht. Genau wie die Tatsache, dass Seneca zwar den Verzicht predigte, selbst aber im Luxus schwelgte. Gerade dieser Wiederspruch schafft Parallelen zu so manchem Machthaber der Moderne, weshalb auch der Film, etwa durch heutige Requisiten, immer wieder die Brücke in unsere Gegenwart schlägt. Letztlich bleibt (wie schon in der Geschichte) der Versuch, den Kaiser von den Vorteilen der Gnade zu überzeugen, erfolglos: Nero befiehlt seinem einstigen Lehrer und Wegbegleiter schließlich die Selbsttötung.

Für die letzten Lebensstunden Senecas, von der Übermittlung des Todesurteils bis zu seinem endgültigen Garaus, nimmt sich die Regie viel Zeit. Vielleicht ist es gerade das Spiel mit dem Faktor Zeit, das den Film an einen Theaterabend erinnern lässt – neben der (allen großen Landschaftsbildern zum Trotz) kammerspielartigen Szenerie. Denn mit zunehmender Todesangst beginnt sich Seneca stoisch um Kopf und Kragen zu reden. Neben all den klugen Weisheiten sind plötzlich auch Beleidigungen und manipulative Machtdemonstrationen zu hören. Die Szene, in der Seneca seine gleichermaßen junge wie schöne Frau Paulina (ätherisch und gleichsam strahlend gespielt von der großartigen Volksbühnen-Schauspielerin Lilith Stangenberg) versucht zu überreden, sich gemeinsam mit ihm das Leben zu nehmen, gehört zu den besten des Films. Senecas Reden, sichtbar um Deutung ringend, reißen nicht ab: so gut und so nervtötend gleichermaßen, dass es kaum auszuhalten ist.

Sympathisch oder gar heldenhaft ist in diesem Film übrigens niemand, vielmehr entlarvt er die Brutalität einer Epoche. Oder gar der ganzen Menschheit? Allein die dramatische Inszenierung von Senecas grausamer Thyestes-Tragödie jedenfalls geht durch Mark und Bein. Und ob es dem Film gut tut, dass er einen barbarischen Umgang mit Sklav:innen ungefiltert zeigt (zumal der echte Seneca als Kritiker der Sklaverei galt), kann man durchaus infrage stellen. Dennoch: Allein, wer John Malkovich mag, kann hierfür ins Kino gehen – allen Unerträglichkeiten zum Trotz.

„Seneca“, 112 Minuten, Deutscher Kinostart: 23. März 2023