Buch: Alles Katastrophe! – Bühnen Martin Zehetgruber

Ein neuer biografischer Collagenband, herausgegegeben von Judith Gerstenberg, würdigt das monumentale Werk des Bühnenbildners Martin Zehetgruber – und ist nicht zuletzt im Format unverwechselbar.

Wenn sich alles im Stück ums Bühnenbild dreht, Regisseur:in, Schauspieler:innen und Team sich nach der Erfahrbarkeit des Raumes richten, steckt wohl der Bühnenbildner Martin Zehetgruber dahinter. Gewaltig, überdimensional, gar die Zeit einfangend sind seine Kreationen auf der Bühne, die er seit nunmehr 40 Jahren erschafft. Viele Erlebnisse, die Theaterschaffende in der Zusammenarbeit mit diesem besonderen Bühnenbildner teilen, werden in „Alles Katastrophe!“ nun dargelegt.

Daumenkino und Theaterskript

Ganz im Sinne Zehetgrubers weist das biografische Werk einen ungewöhnlichen Stil auf. Das quadratische Buch – erschienen 2023 bei Theater der Zeit und herausgegeben von Judith Gerstenberg – beginnt interaktiv mit einem Daumenkino am rechten unteren Buchrand. In den Bilderfolgen werden einstürzende oder wegschwimmende Bühnenbilder visualisiert, die einem die Extreme der Bühnenkunst Zehetgrubers direkt vor Augen führen.

Die Biografie selbst ist mit „szenischen“ Texteinlagen versehen. So erinnert das Einstiegskapitel an ein Theaterskript, in dem es inhaltlich um die Konzeptentwicklung des Buches und eine Rekonstruktion des Lebenslaufes geht. Auch die für Zehetgruber kennzeichnenden, häufigen Blacks lernt der/die Leser:in kennen. Eindrücklich ist die Beschreibung von Zehetgrubers Echtheit, für die er beispielsweise Fische regnen ließ, einerseits – bis hin zu Requisiten, die extra die Künstlichkeit im Theater hervorbringen, andererseits. Auch ohne sich mit „Alles Katastrophe!“ intensiv zu befassen, allein durch das Daumenkino oder die etlichen Zeichnungen und Fotografien, ermöglicht dieses Buch einen intensiven Eindruck davon, was Bühnenbildner:in sein überhaupt bedeuten kann. Bei Zehetgruber ist es oftmals ein Hang zur Hyperbel, wenn etwa unzählige Totenschädel, überdimensionale Pillendosen und riesige Pillen oder tausende Gliedmaßen und Korpusse von Schaufensterpuppen eine Bühnenlandschaft dominieren.

Biografische Collage

Eine Sammlung aus biografischen Texten sowie einzelne Skizzen, Fotografien der Bühnen und handschriftlichen Kommentaren prägen das Buch und erinnern an eine Collage. Die Stimmen, die immer wieder im Buch zu Wort kommen, sind oft enge Kolleg:innen des Bühnenbildners: Beispielsweise der langjährige Wegbegleiter Martin Kušej, der Autor Christoph Klimke oder die Regisseurin Barbara Frey rekapitulieren ihre Zusammenarbeit mit Zehetgruber. Der österreichische Schauspieler Nicholas Ofczarek spricht ganz bewusst von „Räumen“: Denn es seien mehr als Bühnenbilder, die Zehetgruber den Schauspielenden bereitstelle. Und dabei gilt: Alle, auch die Regisseur:innen, verhalten sich zu den Bühnenbildern und nicht anders rum. Zehetgrubers Räume fordern die Darsteller:innen heraus und sind so ein gewaltiges Erlebnis, dass Ofczarek sie als Begegnungen beschreibt.

Als lange Kollegin und spätere Ehefrau war auch Stefanie Wagner maßgeblich in Zehetgrubers Arbeit involviert, diente ihm als Stütze – und wirkte auch an der Buchveröffentlichung mit. Ein Text von ihr, mit persönlichen oder professionellen Erfahrungen, fehlt allerdings.

Zuletzt wird ein Einblick in den offen konstruierten Theaterturm von Ludwigsburg gewährt, der durch eine Kooperation mit der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart entstand, an der Zehetgruber seit 2001 als Professor lernt. In dieser Position kann er in selbstkreierten Aufführungs- und Probenräumen seine Kunst weitergeben und lehren.