Plakat „Cyrano“

Kino: „Cyrano“

Den Stoff kennt man vom Theater. Das Versdrama „Cyrano de Bergerac“ wurde 1897 uraufgeführt und beschäftigt die Bühnen noch immer. Allein in dieser Spielzeit gibt es eine Bearbeitung von Antonio Latella am Münchner Residenztheater und eine Überschreibung von Martin Crimp am Wiener Burgtheater zu sehen, in Innsbruck wird der Stoff vertanzt und in Halle plant man für den Sommer eine Open-Air-Produktion.

Die neue Verfilmung basiert auf dem gleichnamigen Musical, einer Off-Broadway-Produktion von 2018, aus der auch alle Hauptdarsteller übernommen wurden. Neu dazu kam der Regisseur Joe Wright, ein Spezialist für historische und/ oder literarische Stoffe wie „Die dunkelste Stunde“, „Anna Karenina“ oder „Stolz und Vorurteil“. Für Cyrano erfindet er eine eigenwillige, sehr faszinierende Bildwelt, wobei sein Zugriff alles andere als historisch ist. Die Bezugsgröße sind Klischees vom barocken Frankreich, von Elégance und Opulenz, von Erbarmungslosigkeit und Romantik mit Degen und unter Gesichtspuder und Perücke. Und wenn das barocke Frankreich mal nicht passt, finden sich andere, genauso plastische Bildspender. Die Kriegshandlungen etwa, in denen der junge romantische Held sein Leben verliert, sehen aus wie Stellungskämpfe im Ersten Weltkrieg in angemessen unwirtlicher Landschaft, nur notdürftig verkleidet mit barocken Faltenwürden.

Diese Bilder verleugnen den Kitsch nie und verfallen ihm deshalb nicht. Sie erschlagen oder überwältigen nicht – trotz ihrer unbestreitbaren Fülle – sondern laden im Gegenteil dazu ein, sich an Details festzusaugen, wie den unglaublichen weißen Ganzkörperschirmen, die sich irgendwann im Hintergrund eine sonnige Kirchentreppe hochschlängeln. Wie nebenbei wird die eigentlich aus der Zeit gefallene Geschichte stark erzählt: Vom unglücklich liebenden Cyrano, der der angebeteten Roxanne nur als Liebesbrief-Ghostwriter für seinen gleichfalls verliebten und wiedergeliebten Kollegen Christian nahekommt, samt tragischem Ausgang. Und es wird großartig gespielt, wobei sich erneut die seit einigen Jahren gängige Besetzungspraxis im anglo-amerikanischen Sprachraum bewährt. Auch in großen Filmproduktionen wie „David Copperfield“ oder jetzt eben „Cyrano“ verzichtet man auf Type-Casting oder, besser gesagt, wendet es radikal an, ohne jedes Realismus-Konzept. So hat Cyrano in Gestalt des nicht nur durch „Game of Thrones“ berühmten Peter Dinklage keine große Nase, sondern ist klein von Wuchs. Sein Vorgesetzter (Bashir Salahuddin) und der romantische Held Christian (Kelvin Harrison Jr.) werden von schwarzen Schauspielern gespielt, dazu kommen Roxanne (Haley Bennet) und der aus Marvel- und Star Wars-Zusammenhängen als Schurke bekannte Ben Mendelsohn. Und alle spielen großartig miteinander.

Der Wermutstropfen, leider fast schon eine Pfütze, sind die Songs von Bryce und Aaron Dessner. Zunächst erfreut man sich an ihrer Introvertiertheit, daran, dass nicht jedes Solostück, jedes Ensemble in schmetterndem Belting-Gesang kumuliert. Aber das wird doch schnell eintönig, der melodische Reichtum und das Klangfarbenspektrum sind eng begrenzt auf eine Art Minimal Pop. Zumal die Musik immer an den emotionalsten Momenten einsetzt, diese aber weder steigert noch intensiviert, sondern eher aushöhlt. Und das, obwohl der Regisseur sich an vielen Stellen jeder Art von Soundtrack enthält! Warum man sich Musicals aussetzen sollte, zeigen dagegen die Choreografien von Sidi Larbi Cherkaoui. Wie ökonomisch sie eingesetzt sind, wie unangestrengt und elegant sie wirken! Wie jede Tänzerin, jeder Tänzer, selbst wenn er oder sie nur sekundenkurz durchs Bild fliegen, Persönlichkeit gewinnt, ist ein echtes Erlebnis. Und wie diese Choreografien, anders als der Gesang, wirklich Handlung vertiefen, Gefühle vergrößern, Zusammenhänge durch Illustration herstellen. Eine Pracht!

„Cyrano“ ist zwei Stunden mitreißendes Unterhaltungskino, zwei Stunden weg von, Sie wissen schon was, und von vielem anderen auch. Und nicht unter Niveau, besonders in der englischen Originalversion.

„Cyrano“ USA 2021, in Deutschland im Kino seit 3.3.2022. Einen Trailer zum Film gibt es HIER zu sehen.