Foto: Nicole Chevalier als Rusalka. © Barbara Aumüller
Text:Ulrike Kolter, am 16. Juni 2025
An der Rheinoper in Düsseldorf zeigt Vasily Barkhatov eine „Rusalka“, die nicht als Nixe aus ihrer Wasserwelt, sondern aus der Folter eines Kirchenkonvents fliehen will. Doch ihr Liebesglück findet sie auch in der Außenwelt, beim karnevalsfeiernden Mob nicht. Nicole Chevalier begeistert mit ihrem Rollendebüt als Rusalka, obwohl die Inszenierung stellenweise in banale Bilder abgleitet.
Irgendwie leben wir doch alle in Parallelwelten, sind hin- und hergerissen zwischen den faktischen Ansprüchen unseres Lebens und diesen unrealisierbaren Wunschträumen. Leider haben beide Welten ihre unauflösbaren Tücken.
Zeitloses Musiktheater
Das weiß die Operngeschichte längst – und das erzählt uns Antonín Dvořáks lyrisches Märchen „Rusalka“ kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert, als Freuds Traumdeutung gerade prominent wurde. Die gleichnishafte Erzählung einer Nixe, die ihrem kalt-gefühllosen Unterwasserreich entfliehen will, um bei den Menschen die Liebe zu finden, an ihr aber letztlich zu Grunde geht, wurde nicht umsonst zum Kern romantischen Opernrepertoires. Musikalisch verbindet sich slawische Melodik mit Einflüssen Wagnerscher Leitmotivik, Volkstümlichkeit und dramatische Struktur – die perfekte Kombination für zeitloses Musiktheater. Und das lässt sich trotz Wasserwesen-Vokabular auch 124 Jahre nach der Uraufführung in Prag noch relevant erzählen: transformiert zum Beispiel in eine plastikmüllverseuchte Industrielandschaft wie am Staatstheater Braunschweig oder zuletzt als Sozialstudie in einem Berliner Mietshaus von Kornél Mundruczó an der Berliner Staatsoper.
Vasily Barkhatov, der an der Rheinoper Düsseldorf Duisburg sehr unterhaltsam auch Wagners „Fliegenden Holländer“ inszeniert hat, wollte mit „Rusalka“ erneut seine weibliche Hauptfigur tiefenpsychologisch ausdeuten. Das ist nur so halb gelungen, trotzdem lebt der Abend vom Haus- und Rollendebüt der überragenden Nicole Chevalier als Rusalka.
Klosterhölle statt Wasserwelt
Auch sie will ausbrechen – hier aus der Folter eines streng orthodoxen Klosters, wo die Schwestern sie prügeln und ihr den Kopf in die Bettpfanne stuken (glänzend als die drei Nymphen: Mara Guseynova, Elisabeth Freyhoff und Katya Semenisty). Ein Priester, genannt Wassermann, führt mit Obernonne Ježibaba, die sich wirklich hexenähnlich fies gebärdet, ein strenges Regime. Angelehnt an den realen Fall eines Klosters in Jekaterinburg, der 2020 durch die Presse ging, ist Barkhatovs Parallelwelt stimmig: Auch hier erlernt Rusalka keine Leidenschaft, kann nicht sie selbst sein, gab schon als Mädchen beim Eintritt in diese Kirchenhölle alle Weiblichkeit (rote Handtasche, rosa Shirt) ab, wie wir zur Ouvertüre erfahren.

Nicole Chevalier (Rusalka), Anna Harvey (Ježibaba), im Hintergrund: Mara Guseynova, Katya Semenisty und Elisabeth Freyhoff (Nymphen). Foto: Barbara Aumüller.
Unentrinnbar hoch sind die Wände, die Christian Schmidt für die unruhig sich drehende Bühne entworfen hat: Eine sterile Empfangshalle wechselt mit dem holzvertäfelten Altarraum vor riesigem Taufbecken, mit dem Schlafsaal der Novizinnen – und dreht sich im 2. Akt hin zu einer Party-Bar mit verkacheltem Toilettenraum. Wie Türen und Wände sich wiederholt zentimetergenau ineinanderschieben, ermöglicht perfekt getimte Parallelszenen und versinnbildlicht Rusalkas rastloses Zwischenweltendasein – ohne Ankommen, ohne Zugehörigkeit. Großes Bühnenhandwerk!
Rusalkas Frausein misslingt
Leider nur ist die Menschenwelt, zu der Rusalka – von Ježibaba verflucht und ohne Stimme – im 2. Akt aus dem Kloster flieht, eine manifeste Enttäuschung. Ihr angehimmelter Prinz (Giorgi Sturua) ist ein so gar nicht charismatischer, treuloser Motorradfreak und die glückverheißende Menschenwelt nur ein tumbes Karnevalsbesäufnis. Während die Chorszenen mit Gläserschwenken und Tanzeinlagen hier arg plakativ geraten, zerreißt es uns mit Rusalka das Herz: Wie sie in ihrem infantilen Tüllrock und dem viel zu klein gewordenen rosa Mädchen-Shirt (Kostüme: Kirsten Dephoff) von der tanzenden Menge ausgeschlossen wird, Heiterkeit nachzuahmen versucht und doch zitternd und nägelkauend innerlich zerbricht – das ist ein hochsensibel gezeichnetes Rollenporträt von Nicole Chevalier, das über drei Akte hinweg immer mehr fesselt. Auch stimmlich agiert die amerikanische Sopranistin nie zu dramatisch, spielt alle Farben ihres butterweichen Timbres aus, hochemotional und melodiös. Giorgi Sturua als Prinz hingegen tritt mit Kraft statt Feingefühl auf, leider auch beim Akzentuieren seiner Spitzentöne. Dass er seiner Rusalka im Schlussduett nur noch betrunken und gelangweilt zuhört, macht ihn nicht sympathischer.

An der Bar: Giorgi Sturua (der Prinz mit Narrenkappe), angehimmelt von Nicole Chevalier (Rusalka), Jake Muffett (Wildhüter) und Kimberley Boettger-Soller (Küchenjunge). Foto: Barbara Aumüller.
Starkes Ensemble
Aus dem übrigen Ensemble begeistern Anna Harvey mit strahlendem Mezzo als Ježibaba sowie Luke Stoker als väterlich-strenger Priester (alias Wassermann). Sarah Ferede gibt die fremde Fürstin mit Verve im glitzernden Paillettenkleid, als komödiantisches Duo begeistern auch Jorge Espino (Wildhüter) und Kimberley Boettger-Soller (Küchenjunge). Rätselhaft bleibt das Auftauchen eines Jägers, den Henry Ross stoisch lächelnd als goldenes Trugbild mimt. Die musikalische Leitung der Düsseldorfer Symphoniker obliegt Kapellmeister Harry Ogg, der Dvořáks nie abreißende Melodiebögen sängerfreundlich im Gleichgewicht hält.
So verplätschert der Abend des zuletzt so sensibel inszenierenden Regisseurs trotz bewegender, stimmiger, auch lustiger Momente und endet wenig ergreifend: Der Prinz schläft ein in seinem Rausch, und Rusalka ertränkt sich im Taufbecken. Schade.