Das Ensemble steht Ganzkörperanzügen und kurzen, gelockten Perrücken in einer Gruppe und schaut misstrauisch nach vorn.

Vorzüglich in Blau

Valère Novarina: Das eingebildete Tier

Theater:Theater an der Ruhr, Premiere:07.11.2025 (DSE)Regie:Julie GrothgarMusikalische Leitung:Philipp Plessmann

Das Theater an der Ruhr brilliert mit der deutschsprachigen Erstaufführung von Valère Novarinas „Das eingebildete Tier“. Stück wie Inszenierung begeistern mit Sprachwitz, Bühnenpräsenz und gut durchdachter Unterhaltung.

Valère Novarina, 1947 in Genf geboren, Autor, Künstler, Regisseur, ist in Deutschland beinahe unbekannt. In Frankreich dagegen füllt er mit seinen sprachverspielten Texten die Säle. Die Franzosen haben seit jeher eine größere Schwäche für Sprachspiele als die ernsteren Deutschen. Wenn das Theater an der Ruhr den Text „Das eingebildete Tier“, in einer ausgezeichneten Übersetzung von Leopold von Verschuer, in seine „Utopien“ betitelte Spiel-Insel aufnimmt, verweist es auf den entgrenzenden und womöglich befreienden Charakter einer Sprache, die sich nicht nach den Regeln der Logik richtet. „Eingebildet“ ist das Tier übrigens im Sinn von „imaginär“, im Deutschen allerdings könnte es sich ebenso um ein hochmütiges Wesen handeln, das gelegentlich unter dem Namen Mensch firmiert.

Ja, der Mensch! Einmal ist von einer „Anthropoklasmuskrise“ die Rede, was man wohl mit „Menschheitsaustreibung“ übersetzen könnte. Überhaupt wimmelt es im Text von Neuschöpfungen bis hin zum Inhalt einer Speisekarte, auf der „der Gewissensbiss des Küchenjungen“ als besondere Leckerei verzeichnet ist. Und doch ist Novarina kein Menschenfeind. Im Gegenteil, seine Erfindungen reizen sehr zum Lachen (wie sich auch in Mülheim erwies), und letztlich ist die Verortung im positiv Utopischen nicht unbegründet. „Ein bisschen Spaß muss sein“, heißt es augenzwinkernd.

Einfarbige Opulenz

Aber wie die Inszenierung? Lange hat man das Theater an der Ruhr nicht mehr derart opulent erlebt. Bereits der allererste Auftritt ist im Wortsinn bestürzend. Das zehnköpfige, gemischtgeschlechtliche, aber monochrome und monosemantisch feminine Ensemble fällt und poltert nach und nach durch einen schmalen Schacht auf die Bühne. Die zehn Look-a-likes erscheinen sämtlich in Blau: Faltenröcke, Pullis, Rundkrägen, blaumelierte Haare, Käppis (Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlović). Und alle sind höchst erstaunt über die Anwesenheit aller anderen. Das haut schon mal hin.

Ein so großes, permanent präsentes Ensemble erfordert eine Menge an choreografischer Feinarbeit. Da darf man schon staunen, wie die junge, fast noch unerfahrene Regisseurin Julie Grothgar den Abend in den Griff bekommt. Ganz ohne Durchhänger, ohne Nachlassen der Intensität und Energie des Spiels. Man löffelt die „Erinnerungssuppe“, die Novarina uns halb im Scherz, halb im Ernst eingebrockt hat, hingebungs- und genussvoll aus. Philipp Plessmann hat die Musik eingerichtet, nicht ohne Schmankerl. Da ertönt auch schon mal ein Adagio aus einem Klavierkonzert von Mozart. Zwei der Frauen fallen kurz kostümtechnisch aus dem Rahmen, eine mit einem überraschenden Aktauftritt, eine andere in einem prächtigen Reifrock, mit Blüten bestückt. Ansonsten bleibt Monochromie Trumpf.

Im Vordergrund steht eine Person in kurzen Bikershorts mit Fahrrad. Dahinter steht eine eine Frau mit eleganter Hochsteckfrisur und Siedenstrümpfen. Ihren Reifrock hält eine witere Person, die neben ihr auf deem Boden kniet.

Lea Reihl steigt aus ihrem Reifrock. Foto: Franziska Götzen

 

Den sprichwörtlichen Vogel aber schießt zum Schluss des Abends Fabio Menéndez ab, indem er einen sogenannten „Roman“ vorträgt, der aus nichts anderem als ungefähr 150 Inquit-Formeln mit entsprechend vielen Vornamen besteht („behauptete Franz“, „klagte Rosemarie“ usw.). Hier darf mal einer getrost alle anderen an die Wand spielen. Auf nach Mülheim, man muss es erlebt haben (und kann es an manchen Abenden auch gekoppelt mit einer Stückentwicklung namens „Ein anderes Blau“ von Charlotte Sprenger).