Französische Zustände in Norwegen

Christoph Diem, Holger Schröder: Babettes Fest

Theater:Staatstheater Braunschweig, Premiere:18.11.2023 (UA)Autor(in) der Vorlage:Karen BlixenRegie:Christoph Diem

Bei der Uraufführung von „Babettes Fest“ setzt Regisseur Christoph Diem auf Überzeichnung. Am Staatstheater Braunschweig bleiben die Figuren am Abend auf ihrer Parodie sitzen.

Am Ende sind alle bei Babettes Fest willkommen: Die Türen des zwischen den verschneiten Felsen des Fjords eingekeilten Häuschens öffnen sich. Das Publikum von „Babettes Fest“ am Staatstheater Braunschweig quetscht sich auf die Bühne. Hier warten Wein, Wasser und das Finale der Inszenierung.

Christoph Diem inszeniert den auf der Novelle von Karen Blixen basierenden Film von 1987 auf der Bühne des kleinen Hauses in Braunschweig. Dazu gehören eine ganze Parade an überzeichneten, skurrilen Figuren. Irgendwo im nördlichen Norwegen am Rande der Zivilisation kreuzen sich ihre Wege. Der Opernsänger Achille Papin und der Soldat (und spätere General) Lorens Löwenhjelm, die beiden frommen Probsttöchter Philippa und Martine, so religiös, dass weder der schmucke Soldat noch der charmante Opernsänger die beiden von der Liebe überzeugen können. Und allen voran Babette, die irgendwann mit einem Empfehlungsschreiben des Opernsängers 1872 als Geflüchtete Communardin aus Paris bei den Schwestern auftaucht.

Babettes Geschichte

Bis 1883 wird die Geschichte erzählt: Babette lebt sich ein, kocht für die Schwestern, die dadurch mehr Zeit für ihre gemeinnützigen Tätigkeiten haben. Sie gewinnt dann 10.000 Francs in der französischen Lotterie und kocht davon. Die Schwestern wissen nicht, wie hoch der Preis ist – ein, wegen seiner Dekadenz im Dorf nicht unumstrittenes, aber fulminantes Mahl für alle. Denn Babette ist, wie es der Zufall so will, Küchenchefin eines Spitzenrestaurants gewesen.

Im winterlichen Bühnenbild angelehnt an Norwegen steht Babette (Lea Sophie Salfeld) am Bühnenrand. Foto: Björn Hickmann / Stage Picture

„Babettes Fest“ ist, da muss man sich wohl keine Illusionen machen, eine Wohlfühlfantasie mit skandinavisch-französischen Einschlägen. Das einfache Leben in skandinavischen Holzhäusern, die Dekadenz der Vorwehen des fin de siècle in Paris. Das alles sind Zutaten für eine im Grunde eskapistische Geschichte, in der es um die Kunst geht. Auch die Frage, ob Kunst für ein Publikum gemacht ist oder vielleicht doch eher nur für sich selbst, steht im Mittelpunkt. Denn Babettes Mahl ist ein Kunstwerk, sie selbst ruft am Ende aus: „Ich bin eine große Künstlerin!“. Auch Martine ist eine Künstlerin, eine Sängerin, die aber nicht den Verlockungen der Opernwelt erliegt. Fromm wie sie ist, weist sie die Avancen und Versprechungen des Achille Papin zurück.

Vielleicht geht es hier auch um verpasste Chancen oder den dekadenten Rausch eines guten Essens – und eines guten Kunstwerks – dessen pièce de résistance Wachteln in Blätterteig mit Foie Gras und Trüffelsauce sind. Vielleicht geht es aber auch nur um die vereinende Wirkung eines guten, gemeinsamen Essens. Und weil Kunst und Essen hier immer auch ein wenig gleichgesetzt werden, geht es hier immer auch um die Kraft der Kunst. Die dann am Ende alles glättet: Streitereien im Dorf werden beigesetzt, Babette bleibt in Norwegen, weil sie ihr ganzes gewonnenes Geld für diese eine Ausschweifung ausgegeben hat. Das Geld ging dabei an Menschen, die sie nicht ganz würdigen können. Sie sind eher Biersuppe und Stockfisch gewöhnt: Art pour l’art. Am Ende darf das Publikum, das immer noch auf der Bühne steht, das Ensemble in den Zuschauerraum hinein beklatschen.

Figurenüberzeichnung

Diems Inszenierung lebt von dem Kontrast zwischen den beiden Schwestern Philippa und Martine (Gertraud Kohl und Saskia Petzold). Martines einsiedlerische Religiosität gerät dabei mit Babettes (Lea Sophie Salfeld) resoluter Stilsicherheit aneinander. Überzeichnet sind dabei alle Figuren bis hin zur Parodie, allen voran Mattias Schamberger als alte Tante Löwenhjelm. Alle bis auf Babette, die sich, weil sie am Ende Sinnträgerin der Inszenierung ist, ihre Ernsthaftigkeit bewahren muss.

„Babettes Fest“ ist mit einer Stunde und 40 Minuten Länge sehr viel kürzer als ein französisches Diner. Und wirkt daher auch eher wie eine Fingerübung des Regisseurs oder besser: eine Art Vorspeise. Denn die Inszenierung ist eher leichte Kost. Sie verlässt sich stark auf ihren Humor und die Ironisierung und arbeitet sich ansonsten an der Erzählstruktur der Novelle entlang. Spaß macht „Babettes Fest“, gerade auch, weil das Publikum an Ende mit Wein auf Tuchfühlung mit der Bühne und dem Ensemble geht. Im Abgang mangelt es dann doch ein wenig an Tiefe.