Hergard Engert als Caroline Neuber (Im Vordergrund)

Die Theaterreformerin

John von Düffel: Die Prinzipalin

Theater:Rheinisches Landestheater Neuss, Premiere:20.09.2025Regie:Dirk Schirdewahn

John von Düffel hat zur Feier des 100 Jahre gewordenen Rheinischen Landestheater Neuss ein Stück über eine Theaterleiterin des 18. Jahrhunderts geschrieben. „Die Prinzipalin“ ist eine szenische Biografie über Caroline Neuber mit Querverbindungen zu Goethe und aktuellen Theaterdebatten.

Zum Spielzeitbeginn feiert das Rheinische Landestheater Neuss seinen hundertsten Geburtstag. Nach zuletzt unruhigen Jahren wird das im Jahr 2000 eröffnete großzügige Haus im Stadtzentrum seit einem Jahr von Marie Johannsen (Jahrgang 1991) geleitet. Sicher nicht von ungefähr hat die Landesbühne zum Start der Jubiläumsspielzeit bei John von Düffel ein Stück über die „Neuberin“ in Auftrag gegeben: eine Theaterprinzipalin des 18. Jahrhunderts, die nicht nur als starke Frau in einer Männerdomäne, sondern auch als Reformerin des deutschen Theaters hin zu einem intellektuelleren und bürgerlicheren Theater eine bedeutende Figur der deutschen Theatergeschichte ist.

Fahrende Truppe mit Anspruch

Caroline Neuber und ihre Compagnie spielten mit Privileg von August dem Starken, versuchten erfolglos ein bürgerliches Schauspiel in Hamburg zu etablieren, waren bei Zarin Anna in St. Petersburg engagiert; die Theaterfrau starb schließlich einsam und verarmt bei Dresden. Neuber brachte das erste Stück Lessings zur Uraufführung und sorgte zuvor zusammen mit dem Aufklärer Johann Christoph Gottsched für die programmatische, auf der Bühne inszenierten Vertreibung des Hanswurst von der deutschen Bühne.

Von Düffel erzählt in „Die Prinzipalin“ wichtige Stationen von Neubers Theaterleben, verdichtet Diskussionen mit dem rohen Hanswurst über Ziele und Mittel des Theaters und erweitert es zu einer Ode ans Wander-Theater und die Rolle des Schauspiels in der Gesellschaft. Die Querverbindungen zum Neusser Landestheater sind deutlich, jedoch nie dick aufgetragen. Nach einer gesungenen Ballade zur Einordnung der Figur durch das fünfköpfige Ensemble der Neuberin, führt uns die Uraufführung in eine Probenszene zwischen Caroline Neuber (Hergard Engert) und ihrem mäßig begabten Mann Johann (Benjamin Schardt) zur Probe aus dem Vorspiel von Goethes „Faust“. Die vom ehemaligen Weimarer Theaterdirektor dialogisch zugespitzten Differenzen zwischen komischer Figur, Theaterdirektor und ambitioniertem Dichter nutzt von Düffel zur Einführung ins Theaterleben der Neuberin.

Szenische Theaterbiografie

Souverän surft die dramatische Theaterbiografie durch das Leben der historischen Theatermacherin, deutet Parallelen zum Heute an – und parodiert freundlich die Feierlichkeiten vor Ort. Wenn Gottsched (Stefan Siebert) in einer Rede ans Publikum auf die drei Stunden zuvor im selben Raum erklungenen Reden zum Theaterjubiläum von stellvertretender Ministerpräsidentin und Bürgermeister anspielt, formuliert er zugleich seinen und der Neuberin „Traum“: „von einem Haus, in dem die Menschen einer Stadt zusammenkommen, um sich ein Bild ihrer selbst zu machen (…), einem Möglichkeitstraum.“ Da verbindet das Stück geschickt aufklärerischen Impuls des 18. Jahrhunderts und Herausforderungen der Gegenwart unseres Gemeinwesens – sowie ganz prosaische Debatten über die Zukunft des Stadttheaters.

Die Inszenierung von Dirk Schirdewahn baut auf ein engagiertes Ensemble (neben den Genannten noch Simon Rußig als grob-teuflischer Hanswurst, Annalisa Hohl als Columbina und Stefan Schleue als Erzähler) und im Zentrum die ausdrucksstarke Protagonistin Hergard Engert. In einer großen Szene nach der Pause ringt sie einen fast faustischen inneren Kampf mit sich selbst um Kunst und Unterhaltungstheater. Auch wenn das Tempo, etwa bei der Begegnung mit der Zarin, zuweilen höher sein könnte und der Planwagen der „Mutter Tourage“ als ungelenkes Gerüst mit Rutschbahn auf der Rückseite (Ausstattung: Christina Kirk) eher als Bühnenhindernis wirkt: die Neusser Uraufführung von „Die Prinzipalin“ bietet ein gelungenes, anregendes Theaterereignis.

Ob das Stück – des gerade in Bamberg seine erste Intendanz startenden John von Düffel – über die Feierlichkeiten in Neuss hinaus, trägt, ist eine andere Frage. Eine (für die Emanzipation der Frau wie die Theatergeschichte) wichtige und spannende Biografie als Schauspiel kann Querverbindungen ins Heute schlagen. Ein intensives Gesellschaftsdrama würde sie vermutlich erst bei einer – dann freilich unhistorischen – Zuspitzung ergeben. So aber verbindet die Neusser Uraufführung Unterhaltung (eben mit einem „abgeschafften“ Hanswurst) und intellektuellen Anspruch im Blick zurück zu einer szenischen Selbstreflexion des Landestheaters.