Mozarts „Zauberflöte“ als Animationsshow: Die Feuerprobe in der Ästhetik der Theatergruppe „1927“.

Modern Times

Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte

Theater:Komische Oper Berlin, Premiere:25.11.2012Regie:Barrie KoskyMusikalische Leitung:Henrik Nánási

An der Art, wie Barrie Kosky das Musiktheater als Entertainment-Event unter die Leute bringt, muss man ja nicht alles gut finden. Aber sympathisch ist diese „Hey Leute, Oper macht Spaß, kommt alle her!“-Geste, mit der der neue Intendant der Komischen Oper Berlin seit Beginn der Saison sein Publikum umarmt, allemal. Kosky sagt was er tut. Und er tut, was er sagt: Fröhlich verwirbelt er E und U zum Theater für EUch alle, und wenn die Reaktionen der Zuschauer auf sein Erscheinen vor dem Vorhang (oder gelegentlich im Foyer) aussagekräftig sind, muss man annehmen: Es ist ihm gelungen, sein Haus und sich selbst zu Everybodys Darling zu machen. Zum Darling auch des jungen Publikums offenbar, das in der „Zauberflöten“-Premiere keinen kleinen Teil der Zuschauer stellte.

Irgendwie war es ja auch eine Art Jugendprogramm: Mozarts Mysterienoper als Cocktail aus Comic-Strip und Kintopp, animiert von dem britischen Theaterduo Suzanne Andrade und Paul Barritt, die unter dem Label _1927_ (das Jahr des ersten Tonfilms) mit ihren Shows durch die Welt touren und nun erstmals Oper machen; in Bühnenbild und Kostümen von Esther Bialas; und Kosky selbst steuerte die sparsame, aber stilgenaue Personenführung zum Animationstheater bei. Das liegt durchaus auf einer Fortsetzungslinie jener Vorstadttheater-Sause, die Emanuel Schikaneder 1791 im „Starhembergschen Freihaus auf der Wieden“ vom Zaun brach und damit die Erfolgsgeschichte dieser Oper begründete. Ob auf diese Weise deren tieferes Sinnpotential zu erschließen ist, blieb schon damals dahingestellt – ebenso wie jetzt an der Komischen Oper.

Wie also sieht das aus? Die Bühne ist hochgefahren, eine weiße Wand dient als Screen für die Animationsfilme, in diese Wand eingelassen sind Drehtüren, in denen die Figuren, genau eingepasst in die projizierte Comic-Bildwelt, erscheinen und verschwinden. Sie sehen aus wie die Töchter und Söhne der Väter der Klamotte: Papageno trägt Hut, Anzug und das weiß geschminkte Gesicht von Buster Keaton (der Anzug allerdings, soviel Papageno muss sein, ist knallgelb), Tamino kommt in Abendgarderobe und mit Schwerenöter-Locke daher, Pamina könnte eine Schwester der Stummfilm-Schönheit Louise Brooks sein, Monostatos der kleine Bruder von Nosferatu… Um diese Figuren herum aber wuchert und rast die Comic-Welt: Die Königin der Nacht wird zur Riesenspinne mit nervös zuckenden Rasiermesserbeinen, die Zauberflöte ist ein süßes nacktes Libellchen mit einem langen Notenschweif, die Glöckchen des Glockenspiels tanzen auf drallen Revuegirlbeinen, Papageno bekommt einen stoischen schwarzen Kater (Vogelfänger!) als Genossen. Ja, und wenn Tamino seiner Pamina endlich begegnet, sprießen die Liebesblümchen herzig, Sarastro ist der Herrscher über eine mechanische Welt, die an Chaplins „Modern Times“ erinnert, und, und, und – und das Publikum amüsiert sich, und alle, bis auf wenige, kommen glücklich aus dem Theater.

Soll man sich nun als Kritiker auf die Seite der Wenigen schlagen, die ja Recht hätten, wenn sie einwendeten, dass die interpretatorische Ausbeute dieser Inszenierung gegen Null tendiert – vor allem, weil die 1927-Animateure zwar lustig bei der Sache sind, dabei aber allzu harmlos bleiben? An den anarchischen Witz etwa der Monty-Python-Comics darf man nicht denken, dazwischen liegen nicht nur Jahre, sondern auch Lichtjahre an Qualitätsgefälle. Und noch ein Kollateralschaden ist zu bilanzieren: Die gesprochenen Dialoge werden durch stumme, auf der weißen Wand übertitelte Szenen mit passenden Figurenposen ersetzt, live gespielte Stummfilmszenen quasi. Schikaneders schwafelnden Biedersinn wird darum niemand vermissen. Aber weil zum Stummfilm halt Musik gehört, verhackstückt Bonnie Wagner hier Mozarts Fantasien c-Moll KV 396 und d-Moll 397 auf dem Hammerklavier. Und halten zu Gnaden, aber das ist ein Attentat auf zwei der tiefsten, ausdrucksvollsten Werke, die Mozart je geschrieben hat. Sein riesiges und der Drollerie weiß Gott nicht abgeneigtes Klavierœuvre hätte Stoff für intelligentere Musikcomedy geboten, Anschauungsmaterial dazu gäbe es bei den wunderbaren Wienerliedern von Georg Kreisler.

Sonst allerdings war die Musik eine Stärke des Abends, zuallererst dank des Dirigats von Henrik Nánási. Nachdem das etwas spannungslose Einleitungs-Adagio überstanden war, präsentiert Nánási eine prickelnd animierende, klanglich trennscharfe, dynamisch kontrastgeladene Interpretation mit extremen, aber stimmigen Tempogegensätzen. Und man hörte zwei bemerkenswert gute Solisten: Peter Sonns Tamino ist weniger der schlanke Liedsängertyp, sondern ein strahlend kräftiger heldischer Tenor, den Sonn ausdrucksvoll und mit raffinierter Registermischung führt. Und Dominik Köninger zeigt, welchen Gewinn es bringt, wenn man den Papageno mal nicht auf den lustigen Spielbass festlegt, sondern ihn lyrisch singt, mit viel sonorer Legatokultur, in feiner Phrasierung. Plötzlich merkt man, wie viel Seele in diesem Vogelfänger steckt – und fragt sich, ob nicht er gegenüber dem allzu anpassungsfähigen Prinzen der authentischere Held ist.

Maureen McKay brilliert als Pamina mit hauchzart tragfähigem Piano, das aber fast schon manieriert wirkt, weil in der Mittellage und bei Forte-Ausbrüchen die vokale Linie im störenden Flackern untergeht. Julia Novikova präsentiert als Königin der Nacht gut sitzende Spitzentöne, aber in den weniger exponierten Lagen auch viel Verschwommenes. Christof Fischesser als Sarastro führt seinen markigen Bass ausdruckvoll, kann aber die klangvolle Wärme, die zu dieser Partie gehört, nicht entfalten. Stephan Boving ist ein engkehliger Monostatos, die Drei Damen (Ina Kringelborn, Karolina Gumos, Maija Skille) verströmen per Animation manch rot glühendes Herz, blieben vokal aber spröde, während die drei Tölzer Knaben (Nicolas Brunhammer, Constantin Schmidt, Julian Mezger) viel trostvollen Wohlklang spenden.

Und so hatte Berlin an diesem Wochenende zwei Mozart-Premieren von denkbar unterschiedlicher Provenienz: Nach Hans Neuenfels’ Seelen-Innenraum-Erforschung anhand von „La finta giardiniera“:http://www.die-deutsche-buehne.de/Kurzkritiken/Musiktheater/Wolfgang+Amadeus+Mozart+La+finta+giardniera/Haessliche+Liebe nun also eine „Zauberflöte“ der Oberflächenreize. Deutlicher können sich die Profile der beiden Häuser kaum voneinander absetzen – offenbar erledigt sich da gerade eine Berliner Uralt-Operndiskussion (Braucht Berlin drei Opernhäuser?) durch die künstlerische Praxis. Und das ist auch gut so.