Foto: Europäische „Erweiterung“ in Mannheim © Christian Kleiner
Text:Detlev Baur, am 24. Mai 2025
Am Nationaltheater Mannheim inszeniert Anna-Elisabeth Frick eine Farce zum schleppenden EU-Beitritt Albaniens. Basierend auf Robert Menasses Roman „Die Erweiterung“ gelingt eine schöne Erzähl-Revue, der es wie der Romanvorlage – und der Europäischen Union selbst – etwas an Schwung fehlt.
Das Finale gerät einigermaßen außer Kontrolle: Auf einer Kreuzfahrt durchs Mittelmeer will der albanische Premierminister Staatschefs und Diplomaten der Europäischen Union vom Wert einer Mitgliedschaft des kleinen Balkanstaats in der großen Union überzeugen. Dabei soll der Helm des Nationalhelden Skanderberg, vielmehr eine seiner zwei jüngst gestohlenen Kopien, eine zentrale symbolische Rolle spielen. Doch eine epidemische Infektionswelle auf dem Schiff bringt das Unternehmen „Erweiterung“ nicht nur ins Stocken, vielmehr rafft es Menschen dahin und lässt das Staatsschiff schließlich manövrierunfähig dahintreiben.
Spiel mit Symbolen
Robert Menasses Roman „Die Erweiterung“ endet mit diesem Bild; die „Glut der europäischen Idee“ scheint verloschen, die Staatenunion ist vom Kurs abgekommen. Das von einem albanischen Poeten, der inzwischen Berater des Präsidenten ist, ersonnene Spiel mit Symbolen endet in der Farce. Zwar ist diese – wie der gesamte umfangreiche Roman – anregend, wirkt jedoch auch recht konstruiert. Der kritische EU-Sympathisant Menasse gewährt den teils erdachten, teils verschlüsselten Figuren aus Brüssel, Wien und Tirana, die sich auf der SS Skanderberg schließlich begegnen, bei vielfältigen Verbindungen mit dem historischen Hintergrund (aus jüngerer EU-Geschichte bis hin zu Spuren aus dem 2. Weltkrieg und dem Holocaust) nur wenig Raum für individuelle Entfaltung. Insofern geht es dem anregenden und zugleich anstrengenden Werk wie der in ihm diagnostizierten Krise der Europäischen Union: Es mangelt an Klarheit des Dis-Kurses, aber auch an Elan und emotionaler Bindungskraft.
Die Inszenierung von Anna-Elisabeth Frick nimmt das Bild von der Kreuzfahrt-Katastrophe als Grundsituation und entwickelt mit Hilfe einer Erzählerfigur (Mattias Breitenbach als souveräner Stichwortgeber) in Rückblenden einzelne Figuren ausführlicher, andere nur in Andeutung. Die türkis dominierte Bühne (Martha-Marie Pinsker) eröffnet mit Versatzstücken wie Wölkchen und Schiffsreling offene Möglichkeiten eines Film-Sets.
In dieser Erzähl-Revue wechseln die sechs Darsteller:innen Kostüme (Sophie Lichtenberg) und Rollen und schaffen dabei teils kabarettistische Typen, reißen aber auch einzelne Schicksale intensiver an. Cross-Gender-Besetzungen bringen dabei zusätzliche Energie ins Spiel. Der polnische EU-Diplomat Adam Prawdower (Maria Helena Bretschneider) rückt stärker ins Zentrum als etwa der albanische Dichter (Maria Munkert), der Premierminister (Sandro Šutalo) oder die albanische Diplomatin Baia Muniq (Rocco Louis Brück).
Wunderbares Kabinetts-Kabarett-Stückchen
Ein wunderbares Kabinetts-Kabarett-Stückchen gelingt Paul Simon als polnischer Ministerpräsident, wenn er im Gespräch mit dem Jugendfreund Adam im selbstverliebten und unverständlichen Kauderwelsch doziert. Adams groß geplante Flugblatt-Aktion auf dem Schiff, die sich eben gegen diesen rücksichtslos populistisch agierenden, ehemaligen Mitstreiter richten soll, scheitert kläglich; er/sie steht allein im Regen unter einer Schäfchenwolke. Und doch billigt die Mannheimer Textfassung Maria Helena Brettschneider das letzte Wort zu: eine Liebeserklärung an Sohn und Frau, in einer bis dahin kriselnden Ehe.
Die knapp zweistündige Inszenierung nutzt gekonnt dramaturgische Mittel, um den anregenden und etwas unentschiedenen Roman zum Strahlen zu bringen. Doch die europäischen Sterne im Hintergrund der Schiffskatastrophe bleiben eben nur im Hintergrund der Bühne. Und die Einzelschicksale in diesem schwankenden Europa blitzen nur kurz auf. Auch die theatrale „Erweiterung“ ist also eine schöne anregende Brise, allerdings kein mitreißender Sturm.