Foto: Maddy Forst © Elsa Wehmeier
Text:Martin Krumbholz, am 10. November 2025
Am Schauspiel Essen hat ein bereits am Landestheater Tübingen erprobtes Projekt Premiere, das die Stolpersteine als Anstoß für eine Performance nimmt. Nicht nur am 9. November ein wichtiges Angebot des Theaters.
Da ist zum Beispiel die Hirschland-Bank, ein prächtiges neoklassizistisches Gebäude mitten in der Essener Innenstadt. 1841 war die Bank von Simon Hirschland gegründet worden, dessen Vater Salomon 30 Jahre zuvor aus dem Osten nach Essen gekommen war, in eine nicht sonderlich florierende Stadt, von der niemand ahnte, dass sie einmal eine bedeutende Industriemetropole werden würde. Im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelte die größte Privatbank Deutschlands sich zur wichtigen Kapitalgeberin des Steinkohlebergbaus. 1938 wurde die Bank „arisiert“. Die Familie konnte mit Glück ins Ausland fliehen.
Stolpersteine von Tübingen bis Essen
Die israelische Regisseurin Sapir Heller erfand das Outdoor-Projekt „Lebendige Stolpersteine“ für das Landestheater Tübingen, ein anderer Regisseur, Dor Aloni, entwickelte es für Essen weiter. Premiere am 9. November, dem Jahrestag des Pogroms (zynisches NS-Wording wie „Reichskristallnacht“ hat sich lang im Sprachgebrauch erhalten). In zwei Gruppen à 25 Personen bewegt man sich in der Abenddämmerung durch Essen. Im ehemaligen Direktionszimmer der Hirschland-Bank, sie ist nicht weit vom Theater entfernt, räsoniert der Schauspieler Mathias Znidarec über die Topografie des Raums. Wo stand der Sessel des Direktors, wo das Telefon? Auf einem Beistelltisch? Heute scheint das Zimmer ein Konferenzraum zu sein, gepflegt, aber ein wenig steril. Die Erinnerung an eine andere Zeit vor 100 Jahren arbeitet sich mühsam voran.
Erinnerung, heißt es einmal im begleitenden Monolog, ist nicht etwas Passives, sie hat bedeutende aktive Anteile. Ein anderer Schauplatz des Rundgangs ist das Hotel Essener Hof am Hauptbahnhof (gegründet 1883). In einer Bar erwartet uns die Schauspielerin Lene Dax in der Rolle der Leni Zytnicka, deren Lebensgeschichte sie erzählt. Die Essenerin Leni, Jahrgang 1904, heiratete einen polnischen Juden. Ende Oktober 1938, wenige Tage vor dem 9. November, kam es zur sogenannten „Polenaktion“: Polnische Juden und ihre Familien wurden ihres Eigentums beraubt und nach Polen vertrieben. Man habe wohl schon mal ein wenig „für die Deportationen geübt“, meint Leni. Ihren Mann hat sie nicht wiedergesehen. In den Fünfzigerjahren ließ sie ihn für tot erklären.
Schauplätze der Stadt
Es geht dann in die große alte Synagoge: Sie brannte in der Nacht des Pogroms aus, wurde aber im Krieg nicht vollständig zerstört. Wie ein Mahnmal standen ihre Außenmauern nach dem 8. Mai 1945 zwischen Schutt und Asche. Die Tochter des damaligen Rabbiners (Maddy Forst) berichtet auf einem Teppich aus Glasscherben von der Zerstörungslust der NS-Schergen.
Schließlich ist auch die Lichtburg ein Schauplatz, eines der traditionsreichsten Kinos in Deutschland. 2000 Plätze. 1931 wurde es von dem Berliner Kinoenthusiasten Karl Wolffsohn übernommen, schon 1934 musste er es für eine viel zu kleine Summe an die UFA übergeben. Eine nennenswerte Entschädigung erhielten die Nachkommen nicht. Stefan Diekmann und Lene Dax erzählen in der „Kinobar“ von der Romanze zwischen Wolffsohn und seiner Recha. Die Sessel sind hier weich, aber die Idylle trügt natürlich: Eine sentimentale Liebesgeschichte ist nur ein flüchtiger Moment in einem bedrückenden, nachhallenden Prozess der Erinnerung an eine schlimme Zeit.