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Die tote Sängerin

David Philip Hefti: Annas Maske

Theater:Theater St. Gallen, Premiere:06.05.2017 (UA)Autor(in) der Vorlage:Alain Claude SulzerRegie:Mirella WeingartnerMusikalische Leitung:Otto Tausk

„Wer sind Sie? – Operntenor. – Was tun Sie hier? – Ich liebe Anna.“ Doch ist Anna bei diesem ironischen (oder etwas unglücklichen) Dialog zwischen Zofe und Liebhaber schon tot. David Philip Heftis erster Oper „Annas Maske“ wurde nun am Theater St.Gallen uraufgeführt. Die Titelfigur lebt schon zu Beginn des Neunzigminüters nicht mehr, wenn sich im Prolog Zofe und Polizist über der Leiche küssen; anschließend wird im Rückblick erzählt, wie es dazu kam.

Anna ist Anna Sutter, „Sutterle“ genannt, gefeierter Star der Stuttgarter Oper, bis sie 1910 umgebracht wurde. Alain Claude Sulzer hatte diesen Stoff für seine Novelle „Annas Maske“ verarbeitet, die 2001 erschien. Jetzt hat er selbst daraus ein Libretto für den Komponisten David Philip Hefti (geboren 1975) geschrieben, das der für den Kompositionsauftrag des östlichsten Schweizer Stadttheaters in Musik gesetzt hat. Es ist eine klassische Literaturoper geworden, die auch einem Publikum, das nicht sonderlich an neue Musik gewöhnt ist, einen Zugang erlaubt.

Heftis erste Oper baut auf ein Orchester in großer Besetzung und feiner Instrumentation. Prominente Aufgaben hat das Schlagwerk, das mit viel Gong, Marimba und Xylophon bis etwa in die sechste von zehn Szenen fast permanent die Sänger ganz direkt begleitet. Oft bilden die Streicher oder Bläser dazu eine relativ dezente Grundierung. Der Chor ist als zusätzliche Klangfarbe(n) eingesetzt. Das ist farbig und anzuhören und vom Chefdirigenten Otto Tausk und dem Sinfonieorchester St. Gallen so umsichtig wie differenziert gestaltet. Die Musik scheut auch vor Solokantilenen etwa der Oboe oder des Horns nicht zurück, evoziert im langen Crescendo des Zwischenspiel vor der Mordszene fast schon Puccini und Debussy, zitiert ganz gezielt Carmen oder die Stimmung von Strauss‘ „Salome“-Musik, wenn nämlich Anna Sutter von diesen Rollen spricht.

Sie teilt das Schicksal dieser Figuren, ist femme fatale und freiheitsliebende, in der Liebe unstete Verführerin. Maria Riccarda Wesseling ist mit ihrer Präsenz, ihrem warmen und immer textverständlichen Mezzo und der Leichtigkeit, mit der sie die Partie zu singen scheint, eine ideale Besetzung (wie auch Sheida Damghani als Zofe Pauline): Sie spielt die Diva und gibt der Sache so einen doppelten Boden.

Doch worum geht es eigentlich? Sehr klar wird das aus der wenig glücklichen Szenenfolge nicht. Da ist zwar der Mordfall: Sopranistin stirbt, weil der der Kapellmeister (Daniel Brenna hat eine undankbar schwierige Aufgabe!) eifersüchtig ist auf den Tenor (Nik Kevin Koch). Da ist der Blick hinter die Opernbühne, wo es Stars gibt – „steh auf Anna, der Applaus!“ versucht ihre Zofe Pauline die ermordete aus der Rolle zu holen wie Tosca ihren Cavaradossi – und businesstüchtige Intendanten (David Maze mit viel darstellerischer und stimmlicher Autorität). Da ist die Familiengeschichte des „Fräulein“ mit unehelichen Sohn (der eindringliche Leonardo Cerpelloni) und da ist, gerade mal in der ersten Szene präsent, die titelgebende Totenmaske der ermordeten Sängerin. Einen Bogen ergibt das kaum und für kaleidoskopartige Einzelbilder geben die Dialoge und Situationen wenig her.

Immerhin sorgt Regisseurin Mirella Weingarten mit ihrer strengen Optik und klaren Personenführung für Kontinuität. Oben auf der schmalen, dreistöckigen Bühne sitzt der Chor als Beobachter und personifizierte Resonanzraum mit wenigen, effektiven Gesten. Darunter ist Annas Wohnung, wo „die andere Anna“, die tänzerische Verdoppelung der Sängerin (Beate Vollack) meist spiegelnd agiert, und ganz unten ist das Opernhaus, der Raum der andern Figuren und der Außenwelt. Die edlen schwarzweißen Kostüme (passend für die Textilstadt St. Gallen) und vor allem die konsequente, Naturalismus vermeidende Personenführung sorgen – zusammen mit den sparsam und sehr ästhetisch eingesetzten Videoprojektionen – dafür, dass die Musik und das hervorragend vorbereitete Ensemble voll zu Geltung kommen.