Hinten: Uta Krüger, Beate Kiupel; Mitte: Peter Christoph Grünberg, Nele Larsen, Birte Kretschmer; vorn: Laura Uhlig

Die Knallchargen sind los

Tatjana Kruse: Starven ist ok nich mehr dat, wat dat mal weer

Theater:Ohnsorg Theater, Premiere:16.04.2023 (UA)Vorlage:Sterben ist auch nicht mehr das, was es mal warAutor(in) der Vorlage:Tatjana KruseRegie:Murat Yeginer

Erinnern Sie sich noch an Sam? An den von Patrick Swayze verkörperten Börsenbroker, der als Geist auf Erden herumspukt, weil er seinen fiesen Mörder entlarven und seine süße Molly vor diesem retten muss, bevor er selig ins Elysium entschwinden darf? Am Hamburger Ohnsorg Theater hat Sam nun eine plattdeutsche Schwester im Geiste bekommen. Oder soll man sagen: im Ungeiste? Denn während Jeremy Zucker 1990 mit seinem Oscar-gekrönten Film „Ghost – Nachrichten von Sam“  ein originelles Crossover von Thriller, Mystery Movie und Romanze schuf und virtuos auf der Klaviatur des Hollywood-Gefühlskinos spielte, zielt die jetzt am Ohnsorg uraufgeführte Farce von Tatjana Kruse vor allem auf den Humor der Knallcharge. Das allerdings erledigt sie ziemlich gut und zur vollsten Zufriedenheit des Publikums.

„Ik bün afmurkst worrn!“

Auch der Ort des Geschehens kann seine Provenienz aus altbekannten Film-Vorlagen kaum verleugnen: Die heruntergekommene Pension Heubel, von Ausstatterin Anike Sedello in nüchterner Spieltauglichkeit auf die Bühne gebaut, beherbergt neben ebenso heruntergekommenen Gästen auch die Schwiegertochter der Wirtin, die reiche Hotelkettenbesitzerin Bernie (Birte Kretschmer). Ein Schneesturm kappt die Verbindung zur Außenwelt. Und als sich besagte Bernie als Leiche hinter der Couch wiederfindet, muss sie verbiestert feststellen: „Dat weer’t denn woll. Ik bün afmurkst worrn un de Ermittler is to dösbaddelig, dat Verbreken optpokloren.“ Also gehen acht Personen und ein redseliger Schafskopf an der Wand, von Bernie pneumatisch manipuliert, auf die Suche nach dem Mörder.

Die Handlung ist dabei aber nicht so wichtig, hier geht es vor allem darum, lauter Knatterchargen qietschkomisch aufeinander loszulassen, was dem Ensemble in der routinierten Regie des Ohnsorg-Oberspielleiters Murat Yeginer auch bestens gelingt. Ein Klischee jagt das nächste, von der überkandidelten Esoterik-Tussy (Laura Uhlig) über die Blondine vom Dienst (Nele Larsen) bis zum Schwerenöter-Toy-Boy (Peter Christoph Grünberg). Philip King grüßt von Ferne, Fernseh-Comedy à la Klimbim winkt ganz aus der Nähe. Und gegen all das ist auch gar nichts zu sagen, das Publikum jedenfalls amüsiert sich prächtig. Nur wenn einem dann und wann doch mal Sam und Molly in den Sinn kommen – dann bekommt der Titel des Stücks seine ganz eigene Pointe… „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer…“

Der Wettbewerb

Noch größer werden die Zweifel, wenn man den Hintergrund der Produktion mitreflektiert. Tatjana Kruses Text nämlich ist als Sieger aus dem vom Ohnsorg Theater initiierten, von Oberspielleiter Murat Yeginer und Projektdramaturgin Anke Kell konzipierten Wettbewerb Große Freiheit Schreiben hervorgegangen. Aus etwa 150 Einsendungen hatte eine Expertenjury (Yared Dibaba, John von Düffel, Cornelia Ehlers, Annie Heger, Peter Helling, Monika Nellissen, Cornelia Stein und Lara-Maria Wichels) die drei für sie überzeugendsten Stücke ausgewählt. Bei einer Lesung von Ensemblemitgliedern und Gästen des Ohnsorg-Theaters vor Publikum im Juli 2022 fiel dann die Wahl auf den Text „Sterben ist auch nicht mehr das, was es mal war“ der erfahrenen Krimi-Autorin Tatjana Kruse, den Kerstin Stölting ins Plattdeutsche übersetzte. Und es ist ja des Fleißes der Tüchtigen wahrlich wert, der niederdeutschen Dramatik durch so einen Preis neue, zeitgemäße Impulse und Werke zuzuführen. Aber dann sollten die Kriterien der Preisvergabe auch genau darauf zielen. Ein Stück, das lediglich genussvoll altbekannte Patterns und Schablonen bedient, kann diesem Anspruch nicht gerecht werden.

Aber mit der zweiten Runde des Wettbewerbs winkt eine neue Chance: Unter dem Motto Stürmische Zeiten können bis Ende August Exposées auf Hoch- und Plattdeutsch beim Ohnsorg Theater eingereicht werden. Die Wettbewerbs-Adresse für Einsendungen lautet grosse-freiheitschreiben@ohnsorg.de, nähere Informationen auf der Ohnsorg-Homepage dazu gibt es allerdings derzeit, anders als im Programmheft angekündigt, leider noch nicht.