Dabei wird der Erzählbogen des Buches vollständig erfasst. In zwei Stunden läuft die Handlung geschmeidig ab, wobei nur ansatzweise Rollen gespielt, überhaupt nur flüchtig Rollen zugewiesen werden. Dennoch versteht man alles. Selbst die Fragen an diese außergewöhnliche Biographie – und wohl letztlich an das Leben an sich, an uns alle – sind durch klare, geradezu abgezirkelte Haltungen klar vermittelt.
Und hier beginnen die Probleme der Aufführung. Denn alle Anstrengungen, alle Präzision sind auf die Vermittlung von Inhalt und Struktur des Romans gerichtet. Es wird sehr genau und – wichtig zu erwähnen – empathisch gesprochen. Trotzdem scheint auf Judith Bohle, Fnot Taddese, Sebastian Tessenow und Friederike Wagner ein Gewicht zu lasten, wirkt ihr Spiel ein wenig zu sehr in Bahnen gelenkt, schnurrt alles zu exakt ab.
Die Heldin bleibt auf der Bühne
So lernen wir ein Schicksal kennen, aber unsere Heldin Annette bleibt auf der Bühne, steigt nicht herab, bleibt Kunst. Manches Bild, mancher kleine szenische Vorgang wirkt wie eine Überstruktur, der durchgängige, virtuose Soundtrack von Jacob Suske will versinnlichen, wirkt aber oft wie Dekoration. Auf die Metamorphosen des Klangs reagiert das Spiel nicht. Es gibt kaum Akzentuierungen, Zusammenballungen, Höhepunkte im Ablauf. So entsteht zunehmend, bei aller Bildkraft, Gleichförmigkeit.
Bereits nach Lily Sykes‘ Inszenierung des Stoffes in Hannover stellte sich die Frage, ob dieses Buch, dieser Stoff wirklich auf der Bühne eine zweite Heimat finden kann. Bernadette Sonnenbichler hat diese Frage nicht beantworten können, obwohl sie sensibler mit dem Stoff und vor allem den Problemen des Medientransfers umgeht als ihre Kollegin und auch versucht, das Spiel mit der Distanz, das einen Teil der Faszination des Romans ausmacht, für die Bühne produktiv zu machen. Letztlich ist diese Würdigung eines besonderen Lebens trotz vielleicht doch vor allem etwas für eine Autorin, ihre Heldin und ihr Publikum und braucht, bei aller epischen Überhöhung vor allem – Intimität.