Schuld an allem ist natürlich die Politik. Oder ist das Problem womöglich komplexer als man es bester Stammtischlaune wahrhaben möchte? Autor Ulf Schmidt versucht der Sache nun im Münchner Metropoltheater mit „Geld oder Leben – Die Krankenhaus-Abrechnung“ ebenso unterhaltsam wie klug recherchiert auf den Grund zu gehen. Wobei neben seinen persönlichen Erfahrungen aus dem Rettungsdienst auch zahlreiche Berichte und Interviews mit Angestellten der Berliner Charité und zweier Münchner Kliniken in die Textcollage einflossen und Authentizität garantieren sollen.
Komik und Ernsthaftigkeit
Begrüßt wird man da zunächst mit der schmusigen Trompetenmelodie der „Schwarzwaldklinik“. Doch hier gibt es keinen Professor Brinkmann, der als Halbgott in weiß medizinische Wunder vollbringt, keine Oberschwester Hildegard, die ein offenes Ohr und vor allem Zeit für die Nöte ihrer Patientinnen und Patienten hat. Das sechsköpfige Ensemble, gewandet in grünen Krankhaus-Hemden, konfrontiert das Publikum im Laufe des kurzweiligen Abends immer wieder mit Zahlen, Auflistungen und sauberstem Beamtendeutsch. Was bei allem Ernst der Thematik immer wieder für geradezu Loriot-hafte Komik sorgt. Vor allem wenn die schier endlosen Fallpauschalen-Nummern der ärztlichen Gebührenordnung aus Luca Skupin heraussprudeln, der neben seinen anderen Rollen auch als neutrale KI-Stimme fungiert.
War der neoliberale Umbau des Gesundheitssystems die Wurzel allen Übels, oder tatsächlich eine notwendige Maßnahme, um den finanziellen Kollaps abzuwenden? Das wird hier aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Da darf Daniela Toth als pragmatisch, gewinnorientierte „Frau Pro“ mit einem idealistischen „Herrn Kontra“ diskutieren, dessen emotionale Argumente von Michele Cuciuffo vorgebracht werden. Ähnlichkeiten mit einem beliebten ZDF-Talkformat sind in der Inszenierung von Jochen Schölch dabei natürlich alles andere als zufällig. Und die Lanz-Manierismen, die Hubert Schedlbauer perfekt verinnerlicht hat, sorgen immer wieder für Schmunzeln im Saal. Zumal er kurz vorher noch mit breitestem Hessisch das Opfer mehrerer unnötig durchgeführter Operationen verkörperte.
Großartiges Ensemble
Wandlungsfähigkeit ist hier von allen auf der Bühne gefragt. Von virtuosen chorisch gestalteten Anklagen der ausgebluteten Pflegekräfte, über den Kampf mit trockenem Amtsdeutsch bis hin zu anderen absurd anmutenden Wortgefechten. Wenn sich etwa Dascha von Waberer als im System gefangene Ärztin die Hände in Unschuld desinfiziert oder Patrick Nellessen wunderbar schmierig den profitorientierten Betreiber einer Privatklinik gibt, für den seine Ärzteschaft vor allem Einnahmen generiert, während das Pflegepersonal vor allem Kosten verursacht und zum Aktionärswohl gesundgespart werden muss. Wenn das Ensemble da rührselig Michael Jacksons Hymne „Heal the world“ anstimmt und von einer besseren (Pflege-)Welt träumt, ist das zuckersüß und gleichzeitig so zynisch, dass es fast schon wieder weh tut. Ebenso wie die Erkenntnis, dass trotz der angekündigten Reformen des Karl L-Punkt, eine Lösung weiter entfernt scheint denn je und Probleme stattdessen wohl wieder eher umbenannt und umverteilt werden.
Wie bereits in „Schuld und Schein“, wo sie sich an gleicher Stelle mit den Ursachen und Folgen der Finanzkrise beschäftigten, ist Autor Ulf Schmidt und Regisseur Jochen Schölch auch mit „Geld oder Leben“ wieder ein Abend gelungen, der zum Nachdenken einlädt, zu Gedankenspielen auffordert und vielen, die mit dem System bereits ihre Reibungsflächen hatten, aus der Seele sprechen dürfte.