Szene aus "Annette, ein Heldinnenepos"

Die Grenzen der Verse

Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos

Theater:Staatstheater Hannover, Premiere:26.02.2022 (UA)Vorlage:nach dem gleichnamigen VersromanRegie:Lily SykesMusikalische Leitung:David Schwarz

Ein wenig ist es, als käme eine Schaustellertruppe in die Stadt: Mit Cello, Klavier, Akkordeon, Geige und Gitarre, mit rot gefärbten Haaren stehen sie und bieten die erbauliche Geschichte von Anne Beaumanoir, Widerstandskämpferin. Die Inszenierung „Annette, ein Heldinnenepos“ von Lily Sykes am Schauspiel Hannover basiert auf dem gleichnamigen Roman der Autorin Anne Weber, der wiederum 2020 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Darin geht es – als Versepos gehalten – um eben diese Anne Beaumanoir, deren bewegtes Leben sie in Kontakt mit der Résistance, dem Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich in Algerien und auf die Flucht nach Tunesien führt.

Für diese ungewöhnliche Form des Versepos – nicht unbedingt in Mode heutzutage – passt natürlich Sykes‘ Schaustellertruppe ganz wunderbar. Denn wer, wenn nicht fahrende Schausteller, sollten so etwas darbieten? Dazu passt auch, dass Webers Text immer mit dem Blick der Nachgeborenen auf sein Subjekt schaut: Die Autorin weiß, wie der Zweite Weltkrieg ausgegangen ist, weiß, wie Algerien unabhängig geworden ist, weiß, welche der gerade erwähnten Figuren wann gestorben ist. Im Nachhinein wird mit Webers lanzenhaft präziser Sprache kommentiert: „Sie ist sehr alt, und wie es das Erzählen will, ist sie auch noch ungeboren“, heißt es an einer Stelle, oder: „Annette ist Pazifistin, bis sie mit 15 Jahren Terroristin werden will.“

Große Distanz

Die Truppe auf der Bühne spielt derweil, während es erzählt wird, das Leben der Anne Beaumanoir nach, die sich wieder und wieder gegen Ungerechtigkeiten wendet – von der Bretagne nach Paris, von Paris nach Marseille, von Marseille nach Algiers, von Algiers nach Tunis – mit immer wieder wechselnden Rollen, mit dem ein oder anderen Lied dazwischen. Währenddessen wird auf der Bühne zuerst ein halb offener, dann ein komplett geschlossener Konzertpavillon in klassischer Oktagon-Form herangerollt und zusammengebaut, denn schließlich braucht die Schaustellertruppe auch etwas, auf dem sie erzählen und musizieren kann.

Stück für Stück erweist sich die Inszenierung dann als repetitiv: Zwar ist der zweite der Teil der zweistündigen Inszenierung, in dem es nicht mehr um die Résistance geht, sondern um den algerischen Unabhängigkeitskrieg ein wenig spannender, einfach, weil das Thema weniger oft aufgerollt wird. Dennoch wird hier eben nichts anderes als die immer wiederholte Heldinnenverehrung betrieben, die – gerechtfertigt oder ungerechtfertigt – im Laufe der Inszenierung wenig Neues anzubieten hat außer eben andere Schauplätze.

Die Form des nachträglich vorgetragenen Versepos hilft dabei kaum weiter, sondern schafft – so charmant die Sprache auch sein kann – eine große Distanz zwischen den erzählten Ereignissen und dem Bühnengeschehen, sodass die eigentliche Geschichte in der stellenweisen durchaus witzig inszenierten Erzählung manchmal geradezu um Aufmerksamkeit ringen muss. Zu sehr drängen Text und Inszenierung sich in den Vordergrund.

Das ist umso bedauerlicher, weil „Annette, ein Heldinnenepos“ durchaus eine feministische Komponente hat: Schließlich gibt es nur sehr wenige, bis gar keine Versepen, in denen es um Heldinnentaten geht – welche mit Heldentaten dagegen gibt es reichlich. Und auch wenn die Inszenierung am Schauspiel Hannover geeignet ist, zumindest in dieser Hinsicht ein wenig ausgleichend zu wirken, scheint die Form (zumindest für die Bühne) ihre Grenzen zu haben.