Ursonate [Wir spielen, bis uns der Tod abholt]

Schön unter welchen Umständen?

Kurt Schwitters: Ursonate [Wir spielen, bis uns der Tod abholt]

Theater:Deutsches Theater Berlin, Premiere:16.12.2023Regie:Claudia BauerKomponist(in):Peer Baierlein

Regisseurin Claudia Bauer und Komponist Peer Baierlein geben dem Publikum am Deutschen Theater Berlin mit der Inszenierung „Ursonate [Wir spielen, bis uns der Tod abholt“ die volle Kurt Schwitters-Dröhnung. Ein irritierender Theaterabend, an dessen Ende das Publikum johlt.

„Language is only a medium to feel, not to understand. Do you understand that?“, beginnen die Darsteller:innen Claudia Bauers Inszenierung von Kurt Schwitters Lautgedicht „Ursonate“ mit einer Komposition von Peer Baierlein. „You shall become a feeler!“ ist die glasklare Botschaft und dann beginnt eine Reise in den Schwitterskosmos, nicht nur mit der „Ursonate“, sondern auch mit „Franz Müllers Drahtfrühling“, „Anna Blume“ oder „PIN“.

Mit seiner Kunst hebt Schwitters die klassische Struktur aus den Angeln. Der Hannoveraner war Teil der in Zürich gegründeten Dada-Kunstbewegung. Die mit „Fümms, bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee“ beginnende „Ursonate“, eigentlich „Sonate in Urlauten“, entstand zwischen 1922 und 1932, bis Schwitters selbst eine Tonfassung aufnahm. Die Grauen des ersten Weltkriegs beschatteten sein künstlerisches Schaffen und Schwitters sah die Revolution in der Kunst. In seinen Werken trifft Struktur auf menschliches Chaos, es sind vor allem Abweichungen von der Form. Ein Mann entfesselt eine Revolution, obwohl er einfach nur so dasteht. Ein Menschenauflauf um den Mann herum rastet aus, verzehrt sich nach dem Grund dieses Dastehens und die ausbleibende Antwort ist nicht auszuhalten.

Irritation

Theaterkomponist Peer Baierlein und Claudia Bauer sind in der Zusammenarbeit erfahren, zuletzt war „humanistää!“ nach Ernst Jandl zum 59. Theatertreffen eingeladen. Nur mit Cello, Schlagwerk und mit die Instrumente unterstützenden Spezialeffekten unterlegt Baierlein den kompletten Schwitters-Abend, gibt den Darstellenden auf der Bühne eine Sound-Collage zum menschlichen Irrsinn, komponiert Choral-Elemente, Walzer, und natürlich den regeltreuen, strikten Marsch.

Ursonate [Wir spielen, bis uns der Tod abholt]

„Ursonate [Wir spielen, bis uns der Tod abholt]” © Eike Walkenhorst

Die Inszenierung reibt am schmalen Grad des absurd Komischen, lebt von klassischen Gags wie Funès’ „Nein! Doch!“, oder wenn Janek Maudrich beginnt, ganz tief zu singen, bis er merkt, das die Noten falsch herum stehen. Immer wieder scheint Chaplins „Der große Diktator“ durch, der Irr- und Unsinn von Herrschaft, Diktatur und Größenwahnsinn, der Napoleon-Komplex. Da labbert auch mal ein goldglitzernder Riesenpenis herum. Die schmerzhafte, makabere Realität bricht mit Spaß, auf der Bühne wird gnadenlos gehängt und im Maschinengewehrfeuer gestorben. Nur ist die Unterhaltung nie totzukriegen, zuckt wieder hoch, zappelt weiter.

What a B, What a Beauty

Patricia Talacko hat einen Raum zum Ausarten geschaffen. Auf der Drehbühne gibt’s auch einen Dada-Kreativraum, wo der Autor selbst im schaffenden Kunst-Wahnsinn erscheint. Projektionen zeigen Auszüge aus Schwitters’ Partituren, Textauszüge und Spielanweisungen (Video: Jan Isaak Voges). Durch die Sonatensätze hindurch werden die weißen Kostüme zu schwarzen (Kostüm: Vanessa Rust), der Tod nähert sich. Die Darstellenden wollen sich selbst zum Sterben, zum Ende tragen. Dann kommt Schwitters „Ursonate“ mit dem umgedrehten ABC zum Schluss, das auf „B“ endet. Bittend wenden sich die Schauspieler:innen ans Publikum, während ihnen das vollendende „A“ im Hals stecken bleibt. Und dann gibt es einen Exkurs aus Schwitters’ „Hinrichtung“, dem Merzgedicht 9: „Menschen sind weise, Anna hat ein Vogel. Stirb nur, du weiser Mensch, Anna Blume lebt Welten.“ Die Frage schwingt nach: Womit trägt sich die Menschheit selber in den Tod? Und welche Gefühle, welche Schönheit leben wir?