
„Ich bin gut fürs Betriebsklima”
Foto: Sina Rohrlack, Technische Direktorin am Theater. Oberhausen © Tobias Kruse/Ostkreuz Text:Ulrike Kolter, am 1. August 2022
Sina Rohrlack ist eine von wenigen Technischen Direktorinnen im deutschen Theatersystem. Sie hat schon einige Intendanzwechsel mitgemacht und weiß, wie hart in den Gewerken gearbeitet wird. Begegnung mit einer Frau, die das System gern umkrempeln würde.
Gibt es im Jahr 2022 noch klassische Männer- und Frauentheaterberufe? Wo Intendanzen gern weiblich – oder zumindest geschlechtergerecht in Teams – besetzt werden, wo das gesprochene Binnen-I zum Alltag geworden ist und Hamlet oder Faust zunehmend von Darstellerinnen verkörpert werden?
In den künstlerischen Berufen und der Personalführung ist man vorwärtsgekommen in Sachen Gleichberechtigung – die technischen Gewerke jedoch sind nach wie vor männlich dominiert. Das liegt auch daran, dass bis vor wenigen Jahrzehnten Prospekte oder Vorhänge noch mit schweren Gegengewichten gesichert werden mussten, was seit Einzug der Digitalisierung mechanische Seilwinden der Muskelkraft abgenommen haben. So gibt es deutlich weniger Gründe dafür, dass nach wie vor nur eine Handvoll weibliche Technische Direktorinnen an deutschen Theatern existieren. Sina Rohrlack ist eine von ihnen und seit 2019 am Theater Oberhausen für circa 95 Mitarbeiter:innen verantwortlich, in der Bühnen-, Ton- und Videotechnik, Beleuchtung, Requisite und den Werkstätten: Schreiner, Schlosser, Maler, Dekorateure – im Grunde alle außer Verwaltung und künstlerischem Personal.
Vielleicht ist der Werdegang von Sina Rohrlack auch eine Geschichte ostdeutscher Sozialisation, geprägt von der Selbstverständlichkeit, dass Mütter arbeiten oder Mädchen, die gern Mathe machen, technische Berufe ergreifen oder handwerklich patent aufwachsen. „Renoviert wurde bei uns immer selbst, kleine Reparaturen, Möbel abschleifen, Kohleofen anfeuern, Reifen wechseln … Das kann man alles irgendwie selbst machen.“ Die 1977 in Eberswalde geborene und in Strausberg bei Berlin aufgewachsene Tochter einer Krankenschwester und eines Bauingenieurs war immer gut in Mathematik – und ging nach der Schule an die HAW Hamburg, um Medientechnik zu studieren. Der ursprüngliche Plan Tontechnik scheiterte an mangelnden Instrumenten- und Notenkenntnissen, sodass Sina Rohrlack stattdessen die Finessen von Signaltechnik und Physik, Ton, Video, Licht- und Bühnentechnik erlernt, im Wohnheim lebend und nebenbei arbeitend für ihren Lebensunterhalt.
Hier gab es die erste und bis heute gravierendste Diskriminierungserfahrung, als ein älterer Professor ihr vorhielt, Frauen gehörten einfach nicht ins Ingenieursstudium … Da waren es immerhin schon ein Dutzend Mädels auf 80 Studierende in ihrem Studiengang.
Studentenjahre am Deutschen Schauspielhaus
Um sich im Studium finanziell über Wasser zu halten, bewirbt sich Sina Rohrlack am Hamburger Schauspielhaus für eine Pollesch-Foyerproduktion, verantwortet dort Stellwerk und Lichtdesign. Es werden vier Jahre Studentenjob daraus, in dem sie die Beleuchtung als ihr Steckenpferd entdeckt. An einem Silvesterabend läuft ihr Vertrag aus – und der damalige Abteilungsleiter setzt sie vor die Tür, nachdem sie sich blind auf eine Verlängerung als Technikerin verlassen und keine anderen Bewerbungen auf Ingenieursstellen geschrieben hatte. „Im Nachhinein war das eine Lektion, für die ich sehr dankbar bin“, schmunzelt die charismatische Frau.
Im anschließenden halben Jahr Arbeitslosigkeit macht Sina Rohrlack eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Architekten, besucht Dutzende Hamburger Baustellen und lernt technisches Zeichnen am Computer: CAD (Computer-Aided Design) als Methode zur digitalen Erstellung von 3-D-Modellen wurde ab den Nullerjahren auch für die Theater wichtig, und so erlernt sie eine Fertigkeit, die heute für viele ausgeschriebenen Leitungspositionen im technischen Theaterbetrieb nötig ist.
Der erste Job führt sie 2005 als Technische Assistentin ans Theater Krefeld Mönchengladbach. „Ich habe bald immer mehr Verantwortung übernommen, Zeichnungen gemacht, Bauproben vorbereitet, war zeitweise kommissarische Werkstättenleiterin.“ Aber ein Theater mit zwei Spielstätten bedeutet enorm viel Fahrerei – für die Assistenten mit Zug und Rad statt mit den Betriebs-Pkws und oft noch mit Modellen oder Ausstattungskrempel unter dem Arm. Dabei keine Zulagen, keine Ruhezeiten… Sina Rohrlack lernt in fünf Jahren nicht nur alle Gewerke und den kompletten Theaterbetrieb kennen, sondern auch die Ungerechtigkeiten der Verträge. „Dabei wird das Theatersystem dort unten entschieden! Ob es knirscht oder nicht …“ Als sie sich bei einem privaten Unfall den Knöchel zertrümmert, ist sie vier Monate außer Gefecht gesetzt und macht alles per TeamViewer vom Krankenbett aus. Mit dem Intendantenwechsel 2010 verlässt sie das Haus nach Göttingen ans Deutsche Theater, wo eine Werkstattleitung ausgeschrieben ist.
Führung vorleben
„Wir als Frauen sind bei einem Jobwechsel darauf angewiesen, auf jemanden zu treffen, der uns akzeptiert“, sagt die heutige Technische Direktorin. Wenn sie inzwischen selbst Bewerbungsgespräche führt, versucht sie, nicht voreingenommen zu sein: „Ich will, dass jeder live seine Chance bekommt.“ Vier Jahre bleibt Sina Rohrlack als Produktions- und Werkstattleiterin in Göttingen, bis mit dem Intendanzwechsel wieder das Nichtverlängerungsgespräch folgt. Ein Systemfehler? Oder persönliches Anecken? Sina Rohrlack geht nicht im Groll: „Ich mache meinen Posten bis zum letzten Tag und übergebe einen aufgeräumten Schreibtisch!“ Ihr persönliches Engagement muss immens sein.
Es folgen fünf Jahre am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen: neues Haus, neue Technik und damit neue Expertise in einem Job, in dem man auch an der wechselnden Ausstattung wächst. „Die Intendanten hassen mich manchmal, weil ich in Sitzungen immer so gut vorbereitet bin mit all meinen Proben- und Bauzeitenplänen.“ Auch am Tag unseres Gesprächs.
Anfang Juni in ihrem Büro in Oberhausen, ist ihr Schreibtisch bedeckt mit meterlangen Saal- und Probenplänen, bunt markierten Tabellen für Auf- und Abbauten von Stücken auf der kleinen und der großen Bühne des Theaters. Hier am Haus steht der nächste Intendanzwechsel mit dem Start von Kathrin Mädler im Herbst bevor, diesmal bleibt Sina Rohrlack hier. Personalführung liegt ihr. „Ich bin gut fürs Betriebsklima! Trotzdem werde ich als Frau schneller infrage gestellt, muss mehr argumentieren, mich mehr rechtfertigen.“
Und natürlich ist es komplex, alle motiviert zu halten. Dabei sollen ihre Mitarbeitenden genug Zeit bekommen, um professionell ihre Arbeit zu erledigen – inklusive der Möglichkeit, eigenes Wissen und eigene Sorgen einzubringen. „Auch mal streng sein, aber immer fair, aufmerksam und wertschätzend. Wenn man das vorlebt, hat man die Chance, dass andere ähnlich handeln.“ Die Basisarbeit hat sie dabei nicht vergessen: „Ich habe mir an Scheinwerfern die Finger verbrannt, Sand geschippt, Kabel gelötet. In Notsituationen fahre ich jetzt noch den Lkw, stelle Straßenschilder auf oder fege die Bühne.“
Systemfehler?
Aber was kann in ihrem Bereich noch kommen als Karriereschritt, nach der Technischen Direktion? „Ich dachte immer, ich muss ganz nach oben, dann kann ich etwas verändern in diesem System.“ Doch selbst jetzt hat sie keine Prokura, kein selbst verwaltetes Budget oder Einfluss auf Stellenpläne – aber dennoch die Verantwortung zum Gelingen des Spielbetriebes, dessen Umfang wiederum die künstlerische Leitung diktiert. Ein Systemfehler?
Man wünscht dem Theater Persönlichkeiten wie sie, die ihre Visionen von Veränderung nicht aufgeben. „Es nervt mich seit 22 Jahren, dass die Leute in den Abteilungen so verschlissen werden. Die Assistent:innen haben einen 10- bis 18-Stunden-Tag! Und in ihren Pausen waschen sie Kostüme oder bereiten alles für den Probenstart vor …“ Auch das Thema Verdienste wird in ihren Augen kommen: „Es kann nicht sein, dass man als freischaffender Bühnenbildner mit Mitte 40 nach 20 Jahren Berufserfahrung sein Gehalt frei verhandeln muss und im Zweifel arbeitslos ist, weil es jemand für weniger Geld macht. Das System wird irgendwann crashen.“
Sina Rohrlack sieht auch, wie in den letzten Jahren trotz personeller Einsparungen über alle Kräfte hinaus produziert wurde, immer weiter. „Mehr Angebot generiert nicht automatisch mehr Konsumenten, egal ob Lebensmittelindustrie oder Kunst. Am Ende landet ein großer Teil unbenutzt im Müll. Und dann werden wir neuerdings auf Seminare zur Nachhaltigkeit geschickt. Absurd!“
Während dieses Porträt entsteht, wird ein offener Brief der Gewerke vom Theater an der Parkaue öffentlich. Darin klingen ähnliche Problemstellungen an, wie sie Sina Rohrlack schildert: Fragen nach unklaren Zuständigkeiten und Abläufen, Kritik an zu wenig Entwicklungsangeboten und vor allem: zu wenig Wertschätzung für die technischen Gewerke. Wäre zumindest Letzteres nicht leicht zu beheben?
Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr. 8/2022.