Gutscheine für betreuten Kulturkonsum

Soll man über eine Sache, die doch eigentlich so ganz offensichtlich gut ist, schlecht reden? Die neue „Kulturpass“ des Bundes zum Beispiel, in verschiedenen Medien auch „Kulturgutschein“ genannt, den Kulturstaatsministerin Claudia Roth just am jecken 11. 11. bei einem Pressetermin gemeinsam mit Bundesfinanzminister Christian Lindner vorstellte: Über ihn sollen alle Jugendlichen, die im Jahr 2023 18 Jahre alt werden, ein Guthaben in Höhe von 200 Euro bekommen, das sie binnen zwei Jahren auf einer digitalen Plattform (verfügbar als als App und Website) ausgeben können. Auf der Plattform können sich Kulturanbieter registrieren und Konzerte, Theater- oder Kinovorstellungen anbieten. Auch Eintrittskarten für Museen oder Ausstellungen sowie Bücher oder „Vinylplatten“, die die Pressemitteilung ausdrücklich nennt, sollen zum Angebot gehören. Große Verkaufsplattformen und Online-Versandhändler sind ausgeschlossen, zugelassen sind nur „lokale Kulturanbieter“. 100 Millionen Euro stehen 2023 für die Einführung dieses Kulturpasses zur Verfügung

Vinylplatten statt Spotify

Die Pressemitteilung verkauft den Gratis-Pass als probates Gegenmittel gegen die kulturelle Post-Corona-Agonie. Er solle die Nachfrage in den Kultureinrichtungen stärken und ihnen ermöglichen, neues Publikum für sich zu gewinnen. Ähnliches gibt es schon in anderen europäischen Ländern oder in Deutschland auf regionaler Ebene. Was also soll man Schlechtes darüber sagen? Vielleicht, dass vieles dann doch ziemlich verblasen und verschmockt daherkommt. Und das das ist nicht nur ein Hautgout, das wird praktische Konsequenzen haben. Schließlich entscheidet ja der Bund, welcher Anbieter auf die Plattform Zugriff hat. Die ausdrücklich erwähnten „Vinylplatten“ beispielsweise: Okay, mit denen scratcht mancher DJ artistische Klangorgien aus den Lautsprechern. Vor allem aber werden sie geliebt von schöngeistigen Nostalgikern, die damit ihre sündhaft teuren High-End-Anlagen beschicken. Nichts gegen High-End, ich gehöre selber zur Fraktion. Aber kann mir mal jemand erklären, warum diese Form des Musikkonsums für einen Jugendlichen kulturell wertvoller sein soll als das Streamen derselben Musik auf Spotify?

Damit sind wir bei den „lokalen Anbietern“, die sich im Gegensatz zu Spotify oder Amazon auf dieser Plattform tummeln dürfen. Solche Anbieter, das Stadttheater zum Beispiel, vermarkten ihre Angebote im Musik-, Theater, und Eventbereich sehr gern auch via Eventim. Diese Plattform ist definitiv nicht „lokal“, vermittelt aber lokale Anbieter deutschlandweit. Und erleben wir nicht gerade eine rasante Globalisierung der Kultur, wo sich allenthalben „lokale Anbieter“ mit entferntesten Weltregionen austauschen und internationale Netzwerke bildet? Was sollen denn da „lokale Anbieter“ sein und was nicht? Droht da nicht Willkür und Wirrwarr? Und administrative Umständlichkeit noch obendrein?

Wo bleibt die Selbstdefinition?

Aber selbst wenn man da noch trennscharfe Ausführungsbestimmungen findet: Dadurch, dass der Staat den Zugang zur Verteilungsplattform regelt, bekommt das Ganze einen Beigeschmack von betreutem Kulturgenuss. Sollten sich junge Leute nicht ihren eigenen Weg durch die wildwüchsige und diverse Welt der Kultur suchen? Sollten sie nicht Kultur rezipieren, weil sie sie begeistert? Gehört es nicht gerade zum jugendlichen Enkulturationsprozess, sich und seine Präferenzen in dieser bunten, wilden Welt selbst zu definieren? Hilft da so ein betreutes Geiz ist geil-Angebot, wo das Gute sich durch Kostenlosigkeit ausweist? Hat dieses Angebot nicht etwas Paternalistisches? Wäre es nicht statt eines Publicity-trächtigen Kulturpasses viel wichtiger, die Not sozialer schwacher Jugendlicher jenseits einer staatlich vorgekosteten Gratiskultur zu verbessern?

Das sind so die Fragen, die mir bei diesem KulturPass  – so die Originalschreibweise mit dem Sax-appeal einer Bibliotheksdauerkarte – ein gewisses Unwohlsein bereiten. Er ist mit PR-trächtiger Offensichtlichkeit gut gemeint. Ob auch gut gemacht, bleibt noch abzuwarten.