Foto: Cleo und Kara tanzen im Nebel. © Volker Beinhorn
Text:Jens Fischer, am 28. September 2025
Jasmine Lee-Jones feierte 2021 in London mit „Sieben Wege, Kylie Jenner zu töten“ ihr Debüt. In rasanten Dialogen und Netzjargon verhandelt sie kulturelle Aneignung, Influencertum und Kapitalismus. Die Landesbühne Niedersachsen Nord zeigt nun unter Pia Kröll die deutschsprachige Erstaufführung. So richtig kann die Inszenierung die Dringlichkeit und Spannung des Textes aber nicht vermitteln.
Die Bühne liegt im Funzellicht des Handys, von dem alle magisch angezogen sind und das sie zum Lebensmittelpunkt erklären. Das sich zur Zuschauertribüne öffnende Zimmer des fertighausschäbigen Bühnenbilds ist daher auch nur mit einer Matratze ausgestattet, auf der die Studentin Cleo auf ihr Handy starrt. Wenn sie sich erhebt, steht ihr Körper steif und verloren im Raum. Die Mimik gleicht einem übellaunigen Smiley. Zwei Fenster lassen sich öffnen. Dahinter befinden sich zwei weitere Räume – mit reflektierender Fläche zur Selbstbespiegelung, einem Sonnenaufgangsposter und uralt wirkenden Bildschirmen, auf denen Online-Chats im Design des vorigen Jahrhunderts fixiert sind. Ein wirkliches Draußen scheint es nicht zu geben. Cleo und ihre plötzlich auftretende Freundin Kara streiten sich auch vor allem über das, was sie in den sozialen Medien wahrgenommen haben. Keine Frage, „Sieben Wege, Kylie Jenner zu töten“ ist ein Stück über Digital-Native-Nerds – und „Abiturstoff im Fach Englisch“. So weist die Landesbühne Niedersachsen Nord auf das angepeilte Publikum hin.
Die Sitcom-geschulte Dialog-Rasanz der 27-jährigen Autorin Jasmine Lee-Jones wurde 2019 am Royal Court Theatre in London uraufgeführt, ging viral, wurde auch mit mehreren Preisen bedacht und war zudem analog ein Erfolg an der Theaterkasse. Beeindruckend, dass Wilhelmshaven die Rechte für die deutschsprachige Erstaufführung (Übersetzung: Enis Maci) dieses möglichen Hits für die von Theatern so dringlich erwarteten jungen Zuschauer erwerben konnte.
Identität als lukratives Kostüm
Protagonistin Cleo (Lidiane Deyerling-Baier) konkretisiert das Thema des Stücks gleich zu Beginn in der Sprache der sozialen Medien. „@forbesmagazine: Kylie Jenner wird, 21-jährig, zur jüngsten Selfmade-Milliardärin aller Zeiten #ForbesMilliardäre. Kylie Jenner… 21-jährig…? …Self-made? @Incognero: weiße Frau aus reicher amerikanischer Familie wird iwie, völlig unerwartet, noch reicher … Wie tötet man sie: ’ne Influencerin und Unternehmerin, genauer: ’ne reizende Trickbetrügerin?“
Wer Lebenszeit nicht in sozialen Medien verbringt, wird völlig zu Recht noch nie etwas von Kylie Jenner gehört haben, weil sie nichts getan hat, was die Welt nur ein klitzekleines bisschen schöner, besser, menschlicher werden lässt. Sie ist lediglich ihre eigene Werbe-Ikone, zog als Influencerin Millionen Follower heran und machte sie glauben, unbedingt Mode und Kosmetika kaufen zu müssen, die unter ihrem Namen verkauft werden. So weit, so kapitalistisch, o. k. Dabei aber reichlich Profit mit der Aneignung Schwarzer Kultur und Stereotypen gemacht zu haben, sorgt für Kritik. Konkret ist Cleo empört, dass Jenner mit Frisuren wirbt, die sie der afroamerikanischen Kultur abgeschaut hat, und volle Lippen zur Mode macht, indem sie das Aufspritzen mit giftigen Fillern propagiert. Ein Merkmal, das bei ihr, der weißen Online-Unternehmerin, als erotisch schön, bei Schwarzen Frauen aber als hässlich wahrgenommen wird und ein Grund für Stigmatisierung ist. Cleo fordert heraus, sich mit der Heuchelei auseinanderzusetzen, wenn Identität zum Kostüm wird.
Die Spielregeln der sozialen Medien
Kara (Amaralina Schmidt) findet dieses „social justice ding“ übertrieben. Die Freundin bleibt bitterernst dabei. Prallen für sie doch „die systematische historische und zeitgenössische Entmenschlichung des Schwarzen weiblichen Körpers und der regelrechte Götzendienst an weißer Weiblichkeit in gewalttätigen hegemonialen weißen Infrastrukturen aufeinander.“ Als radikale Online-Aktivistin will Cleo mit der Anti-Jenner-Kampagne gegen die Ausbeutung und Diskriminierung Schwarzer Weiblichkeit, Kolorismus, Blackfishing, strukturellen Rassismus, Frauenfeindlichkeit etc. protestieren. Die Aufmerksamkeit ist groß und damit Cleos naive Freude, gelesen und gesehen zu werden. Es folgt mit Social-Media-Logik: ein Shitstorm. Cybermobbing. Wobei der geneigte Zuschauer nicht alles davon versteht, weil originalgetreu zu dem Jargon und den Codes der Internet-Junkies auch noch die in Postings benutzten Abkürzungen vorkommen, die im Programmheft auf einer Doppelseite erklärt werden müssen. Zur Erheiterung und Stimmungslockerung gibt es aber auch einen Austausch über Männer und vor allem über Schwänze sowie die Frage: „Ist das Wort ‚runterholen‘ eigentlich gender-neutral?“
Das hitzig-bissige Hin und Her der Stummelsätze inszeniert Pia Kröll überraschend langsam und spannungslos. Sie findet auch keinen wirkungsvollen Umgang mit der Verschmelzung von virtueller und realer Welt. Tweets, Memes, GIFs, Emojis stehen neben den Offline-Selbstfindungsgesprächen und -Albereien der jungen Frauen im Text, werden aber nicht groß mitgespielt, sondern meist im Vorlesetonfall eingesprochen und grimassiert. Vielleicht gerade für junge Zuschauer wurde eine Aufführungsästhetik gewählt, die als besseres Schülertheater bezeichnet werden könnte. Sympathisch, aber Sprech-, Spielkultur und Figurenentwicklung bleiben einfach blass. Der Abend hat keinen Drive, keine Dringlichkeit und plätschert so dahin. Die Aufführung ist auf einigen Ebenen unter Stadttheater-Niveau. Das Stück hat aber eine zweite Chance verdient.