Foto: Melanie Kretschmann, Max Simonischek, Stefanie Dvorak und Thiemo Strutzenberger © Bregenzer Festspiele / Anja Koehler
Text:Martin Thomas Pesl, am 19. Juli 2025
Bei den Bregenzer Festspielen wurde ein neues Stück von Ferdinand Schmalz uraufgeführt. Stefan Bachmanns Inszenierung wird in der kommenden Spielzeit am Wiener Akademietheater zu sehen sein. Das makabre Spiel um einen staatlich angestellten Henker lohnt einen Besuch.
Andere Zeiten, andere Sitten. Wer weiß, vielleicht freunden wir uns bald damit an, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird. Aber dann bitte old-school, mit dem Beil oder der Guillotine, wie sie Josef Lang effizient beherrschte. Der letzte Scharfrichter der Donaumonarchie vollstreckte von 1900 bis zu deren Auflösung 1918 angeblich höchst effizient 39 Todesurteile und erfreute sich deshalb außerordentlicher Beliebtheit.
Blick zurück nach vorn
Der österreichische Autor Ferdinand Schmalz gönnt diesem Josef nun eine unerwartete Reinkarnation. Schmalzens neues Stück „bumm tschak oder der letzte henker“, uraufgeführt als Produktion des Wiener Burgtheaters bei den Bregenzer Festspielen, platziert ihn in einer nicht allzu fernen Zukunft als Betreiber des Tanzklubs Schafott. Hier wird allabendlich mit der künstlerischen Nachbildung einer Guillotine zum Gaudium des Partyvolks eine Melone „geköpft“. Seit im Zuge eines nicht näher benannten „großen Eingriffs“ eine autokratische Kanzlerin die absolute Mehrheit erlangt hat, boomt der Klub besonders: Die Leute wollen sich die Realität vom Leib tanzen: Shake it off.
Olaf Altmann hat hierfür ein Bühnenbild geschaffen, wie es womöglich auch im echten Leben den Eingang zu dem fancy Etablissement darstellen würde: Wie ein Fallbeil geht über einem schräg aufsteigenden Gitterboden ein Vorhang auf und nieder. Als kröchen sie unter der Bühne hervor, lässt Regisseur und Burgtheater-Direktor Stefan Bachmann die skurrilen Gestalten der schmalzschen Versuchsanordnung auf Position krabbeln, bevor sie in hochgradig stilisierte und rhythmisierte Dialoge miteinander treten. Sie haben Glück, denn ihre Stylistin fürs exzentrische Abtanzen ist eine Kostümbildnerin deluxe: Adriana Braga Peretzky.
Da ist Josef selbst, den Max Simonischek als leicht verhuschten Zampano verkörpert. Da ist Thiemo Strutzenberger als Flamboyanza, Josefs „Mistress of Conference“ im Schafott, hier nicht in Drag, sondern im dekadenten Glitzeranzug – ein blinder Seher mit üblen Vorahnungen. Und da ist Josefs Liebschaft Flo (Maresi Riegner), eine verbitterte Vertreterin der alten Zeit, die nicht umhinkonnte, die neue Kanzlerin (Melanie Kretschmann) in einer Schüttaktion zu besudeln. Die „shake-t“ das zwar nonchalant „off“, lässt Flo aber dennoch von ihren als heitere Horrorclowns auftretenden Systemscherg:innen (Mehmet Ateşçi und Sarah Viktoria Frick) ins Gefängnis stecken.
Vertrauen in den Text
Dort hockt ein Serienmörder (Stefan Wieland) und harrt seiner Hinrichtung, die dann tatsächlich auch erfolgt, durch Josef, der dadurch seine Flo frei bekommt. Die Kanzlerin hat, was sie wollte: einen Schritt hin zur Legitimation der wiedereinzuführenden Todesstrafe. Die Gefängnisszene im mittleren Akt ist eine Hommage an das existenzialistisch Absurde der Literatur im frühen 20. Jahrhundert. Ähnlich Hamm aus Samuel Becketts „Endspiel“ befürchtet Flamboyanza: „vielleicht hat man auf uns vergessen“, bis ein Strafvollzugsbeamter mit Zylinder monologisiert wie in Kafkas „Vor dem Gesetz“. Ihn spielt, gebeugt, Burgschauspielerin Stefanie Dvorak, die zuvor auch vor dem Klub als „die strenge Tür“ darüber bestimmte, wer eingelassen wird und wer nicht.
Seine uneitle Konzentration auf bewegungsarme Theaterbilder macht Bachmann zum idealen Regisseur für diesen Autor. Wie schon 2018 bei Schmalzens „jedermann (stirbt)“ nimmt Regisseur Bachmann die genaue Taktung des Textes überaus ernst. Das schlichte Bühnenbild taucht er in Lichtstimmungen von Grell bis Finster (Bernd Purkrabek), und die Spielenden vermeiden jeden natürlichen Tonfall. Klar, ihr irreales, deliriös verlangsamtes Sprechen hat auch mal etwas Einschläferndes, doch der wohl durchdachte Plot mit seinen bestechenden Sprachbildern kommt dadurch zum Leuchten.
Makaber war Ferdinand Schmalz immer schon, aber „bumm tschak oder der letzte henker“ ist, wenngleich nicht humorlos, so doch düsterer, ernster, vielleicht weiser als sein verspieltes Frühwerk. Am Ende sprießt womöglich dennoch auf bizarre Weise Hoffnung. Denn was ist zu erwarten, wenn die böse Kanzlerin einen Klub besucht, dessen Attraktion eine Guillotine ist?