Foto: In „Sex Play“ sind die Geschlechter des Ensembles nicht zu erkennen. © Kerstin Schomburg
Text:Michael Laages, am 11. Mai 2025
Zum Abschied der Intendantin Sonja Anders zeigt das Schauspiel Hannover das Drei-Stücke-Projekt „Sex“. Bei der Premiere fällt besonders Ronny Jakubaschks Inszenierung von „wir kommen“, basierend auf einer Arbeit des Literaturkollektivs „Liquid Center“, positiv auf. Der Rest kann weniger überzeugen.
Schließlich hat sich die Sache mit den Geschlechtern dann wohl doch noch erledigt – fünf Frauen und sieben Männer sind im Grunde optisch nicht mehr unterscheidbar, so jedenfalls hat Kostümbildnerin Anne Buffetrille sie ausstaffiert für den Inszenierungsteil von Stephan Kimmig. „Sex Play“ heißt der Text von Patty Kim Hamilton, in dem zwölf Bühnen-Wesen in durchweg gleichem Glitzerrot und unter austauschbaren Perücken in Weiß versprechen, die allerpeinlichsten Geschichten zwischen Partnerinnen und Partnern beim allerersten Kennenlernen zu berichten.
Da ist etwa die vom ziemlich ungut müffelnden Mann, der aber immerhin handwerklich recht begabt ist und gleich eine ganze Wand malert in der Wohnung der Dating-Frau, und da ist die vom ersten, eigentlich vielversprechenden Treffen zweier Männer, bei dem der Blick des einen mitten im sexuellen Kennenlernen auf Hitlers „Mein Kampf“ im Bücherschrank fällt. Hat er sich da auf einen Nazi eingelassen? Oder auf jemanden, der deutsche Geschichte studiert? Egal – die beiden treffen einander wohl noch öfter.
Die Geschichten sind schräg und schrill. Die nicht unterscheidbaren Liebeskranken sprechen meist im Chor. Interessanter wird das eher oberflächliche Dauergeplänkel dadurch aber nicht. Und die dazu gespielte und gesungene Tralala-Musik zieht das Finale noch ein wenig weiter hinab in die Abgründe der Belanglosigkeit.
Sind alle guten Dinge drei?
„Sex Play“ ist Teil des sehr ambitioniert daherkommenden Drei-Stücke-Projekts „Sex“ zum Finale der Intendanz von Sonja Anders am hannoverschen Schauspielhaus: Eine spektakuläre Premiere, die so gut wie das gesamte Ensemble versammelt und so den Gedanken von der allumfassenden Gemeinschaft im Theater beschwört. An sich ist das aller Ehren wert. Ob das Haus allerdings einigen von denen wirklich einen Gefallen getan hat, die da gerade Abschied nehmen von Stadt und Bühne, bevor Vasco Boenischs Team die Chefetage übernimmt? Zweifel sind angebracht.
Vor sechs Jahren hatte sich Sonja Anders vorgenommen, „feministisches Theater“ zu etablieren. Die Frauen-Quote im Regie-Fach lag seither (ausweislich der angenehm bescheiden geratenen Broschüre zum Abschied) insgesamt und immerhin bei über 50 Prozent. Beim Finale allerdings war das anders: Friederike Heller hat neben Stephan Kimmig und Ronny Jakubaschk eine wilde Mischung aus drei Texten inszeniert, die ziemlich spekulativ überschrieben ist mit dem Titel „Sex“. Ja: Offensiv und ohne Scham wird davon geredet.
Eine Geschichte von Fieslingen?
Zunächst in vier der „Kurzen Interviews mit fiesen Männern“, die der früh verstorbene Schriftsteller David Foster Wallace erstmals 1999 veröffentlichte. Die Sammlung von Geschichten gilt als Musterschau toxischer männlicher Sexualität. Yana Ross inszenierte Teile davon vor vier Jahren am Schauspielhaus in Zürich, mit zwei Pornodarsteller:innen auf der Bühne.
Das hannoversche Team um Friederike Heller hat für die Kurzfassung jetzt vier erstaunlich „unfiese“ Männer-Geschichten ausgesucht: einer der Kerle bricht beim Orgasmus immer in einen Schrei nach Freiheit aus (das mag stören – aber ist es schlimm?), einer fühlt sich vom Vater missbraucht (ist der zu bedauern?), einer transzendiert sich in gar göttliche Sphären und will die Welt zum Stillstand bringen, sobald er masturbiert … und erreicht so natürlich nie das Ziel, weil er ja kein Gott sein kann.
Hinzu erfunden hat Hellers Team drei Frauen, die den idealen Staat herbei fantasieren: einen, der Männer nicht mehr braucht und darum abschafft. Nur zur Zeugung sind sie noch gut. Die drei Frauen, die da luftig in Gondeln über der Bühne schweben, sind Ameisen-Königinnen, „Ant“-Queens. Und durchsetzt ist die knappe Fingerübung mit Musik, die mit der eher platten Pointe spielt, das „ant“, also Ameise, fast so klingt wie „the end“, also „das Ende“. Das der Männerwelt?
Zwischen Reflexion und Kuddelmuddel
Das zweite Klein-Teil des Abends ist noch kürzer, aber gedanklich deutlich ernster zu nehmen. Unter dem Dach des Literaturkollektivs Liquid Center sind kluge und selbstreflexive Dokumente moderner Weiblichkeit versammelt. Die eher zurückhaltende Inszenierung von Ronny Jakubaschk konzentriert sich sehr kompakt auf die drei spielenden Frauen, Anja Herden, Amelle Schwerk und Helene Krüger. Intensiv und sehr rückhaltlos intim nehmen sie sich ein wenig Zeit für die Erforschung eigener Sexualitäten. Der Raum von Sabine Kohlstedt, eine drehbare Showbühne mit vielerlei Vorhängen, wird hier wirklich genutzt – fürs Verschwinden im Schattenriss wie fürs Offenbaren dessen, was Frau gerade will: von anderen Frauen, von Männern, von sich selbst.
Natürlich werden in dieser guten halben Stunde wieder nur Miniaturen angerissen; dass das zwanghaft zusammengedampfte Dreier-Pack aus Themen und Texten nie auch nur den Hauch von Tiefe und grundsätzlicherer Wahrhaftigkeit erreichen kann, ist der dramaturgischen Idee für das Projekt geschuldet. Dass der Abend nach der Pause dann aber obendrein noch zu blankem Quatsch mit glitzerroter Soße verkommt, liegt schon auch an der Art und Weise, wie mit der Textvorlage umgegangen wird. Ob Patty Kim Hamiltons „Sex Play“ mehr zu bieten hätte, ist in diesem zerblödelten Kuddelmuddel nicht ernsthaft auszumachen.
Ersehntes Ende?
Und ein bisschen wehmütig könnten hannoversche Stamm- und Dauergäste sich jetzt erinnern an die sehr besondere Inszenierung, die Stephan Kimmig vor sechs Jahren an den Beginn der Intendanz von Sonja Anders gestellt hatte: eine sehr herausfordernde, aber ziemlich geschickt um-gegenderte Version von Tschechows „Platonow“. Soweit kann’s kommen. Im Abschiednehmen jetzt fällt (oder rutscht) das hannoversche Schauspiel ziemlich weit hinter (oder unter) die hehren Ambitionen zurück, mit denen die Geschichte damals begann. Einzig erfreulicher Nebeneffekt – die Vorfreude auf kommende neue Profile mit dem Team um Vasco Boenisch wächst nach diesem Abschied deutlich.