Ensembleszene

Forschungen zur Kunst des Geschichtenerzählens

Ensemble Materialtheater: Kino im Kopf

Theater:Ensemble Materialtheater, Premiere:16.12.2016Regie:Alberto Garcia Sánchez

Das „Ensemble Materialtheater“ aus Stuttgart zeichnet sich in der deutschen Figurentheaterszene durch seine starke internationale Vernetzung aus, aber auch durch die Vorliebe, stets mit verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen zu experimentieren. Auch in „Kino im Kopf“, das zweite Stück in dem vierteiligen Zyklus „Heimweh nach der Zukunft“ haben Sigrun Kilger und Annette Scheibler vom „Materialtheater“ in Kooperation mit dem Théâtre Octobre aus Brüssel ein neunköpfiges Ensemble zusammengebracht, das aus dem Kongo, aus Frankreich, Spanien, der Schweiz und Österreich angereist ist.

Wie der Titel des Projekts schon andeutet, geht es um die Erforschung des magischen Vorgangs, in dem pure Sprache in den Köpfen der Zuschauer sich in bildhafte Handlungen umsetzt. Eine solche Forschungsarbeit kann nicht allein den Rezeptionsprozess betreffen, sondern muss notwendigerweise auch die Produktionsseite untersuchen. Wann ist der Punkt erreicht, wo sich die Phantasie des Zuschauers am optimalsten entwickeln kann? Was verhindert deren Entfaltung? Wann nimmt mimischer Einsatz, Objekte oder Spielastik den Zuschauern die Magie weg? Das sind nicht ganz neue Forschungen, mit ähnlichen Fragen hat sich auch schon Marco Baliani in seinen „Gedanken eines Geschichtenerzählers“ auseinander gesetzt und ähnliche Antworten gefunden, wie die, dass die Fantasie sich in der Rezeption am besten entfalten kann, wenn mit dem Mittel der Reduktion gearbeitet wird, die alle ablenkenden „Übertreibungen“ eliminiert.

Da in „Kino im Kopf“ neun Erzähler agieren, die ihren Geschichten jeweils eine eigene Farbe geben, nicht zuletzt auch durch die Präsenz ihrer Persönlichkeit, kann der Zuschauer ganz praktisch an diesem Forschungsprozess teilnehmen. Im Nebeneinander der verschiedenen Erzählansätze und  -haltungen kann er selbst nachspüren, wann der magische Vorgang sich herstellt, wann er durch Störfaktoren beeinträchtigt wird, aber auch, wie verschiedenen kulturelle Traditionen das Erzählen prägen. Hubert Mahela aus dem Kongo beispielsweise entwickelt eine komödiantische, sehr auf Rhythmus und Bewegung setzende Darstellungsweise, die starke partizipative Momente entwickelt. Doch wäre es unfair, hier einzelne heraus zu greifen: Miriam Ellenbroek, Regina Welk, Martina Kolbinger-Reiner, Sascha Bufe, Katharina Wibmer, Julia Bianca Jung und Cèlia Legaz Soler bilden mit Sigrun Kilger und Annette Scheibler ein starkes Ensemble, dessen Stärken noch gebündelt werden durch die geschickte Regie von Alberto Garcia Sánchez, der die einzelnen Erzählungen fast musikalisch arrangiert. Musik wird hier nicht nur zwischen den Geschichten gesetzt, sondern gestaltet die Worte auch atmosphärisch, indem die Lieder selbst Teil der Narration werden. Sánchez hat auch sehr geschickt für die Geschichten, die in ganz unterschiedlichen Textformaten von Liebe und Tod erzählen, einen richtigen Spannungsbogen aufgebaut. Luigi Consalvo hat zusammen mit dem Ensemble den Bühnenraum des „FITZ! Zentrum für Figurentheater Stuttgart“ mit alten Teppichen, Sofas, etc. in ein gemütliches Erzählcafeambiente verwandelt, von der Decke hängen Teelichter in Gläsern, die mildes Licht abstrahlen, die Scheinwerfer sind fast dunkel. Für die Erzählbühne reicht ein schwarzer Vorhang. Die Spieler-Erzähler sitzen an den Seiten oder im Publikum und hören ihren Kollegen genauso aufmerksam zu. So lässt sich unterhaltsam forschen.