Bruno Cathomas und Seán McDonagh

Zwiegespräch

Ágota Kristóf: Das große Heft/Der Beweis/Die dritte Lüge

Theater:Schauspiel Köln, Premiere:31.03.2023Regie:Mina Salehpour

Ágota Kristófs Roman „Das große Heft“ ist immer wieder auf die Bühne gekommen; Ulrich Rasches Prinzip der Intensivierung literarischer Texte durch rhythmisches Sprechen und Bewegen auf einer Drehbühne brachte die Kraft dieses vermeintlichen Tagebuchs 2018 kraftvoll auf die Bühne des Staatsschauspiels Dresden. Mina Salehpour hat nun am Schauspiel Köln gleich die gesamte Trilogie mit den Folgebänden „Der Beweis“ und „Die dritte Lüge“ inszeniert, in zwei Stunden mit nur zwei Darstellern. Der zugleich bescheidene wie ambitionierte Abend beginnt mit einem Knalleffekt, wenn eine Mauer aus schwarzen Betonsteinen in Richtung Publikum kippt (Bühne: Andrea Wagner). Dahinter stehen Bruno Cathomas und Seán McDonagh mit weißen Hemdchen und überkorrekt nach hinten gescheitelten Haaren (Kostüme: Maria Anderski). Doch der Ton den die beiden, streng synchron, chorisch anschlagen ist wenig massiv, eher zerbrechlich. Zwei verunsicherte Wesen erzählen da von der „Großmutter“, bei der sie in Kriegszeiten leben, eher vegetieren; gemeinsam reflektieren sie ihr Leben im „Großen Heft“ genannten Tagebuch. Die Sprache dieser unschuldigen, geprügelten, Liebe suchenden, aber auch grausamen Kreaturen ist einfach, direkt und erschütternd.

Formale Strenge, inhaltlicher Reichtum

Die beiden Darsteller ordnen sich ganz dem strengen Konzept unter, das sie formal durch das gemeinsamen Sprechen aneinander kettet, voll auf die Kraft der Erzählung vertraut, nicht eine Illustration der Erlebnisse dieser verlorenen Jungen versucht, und doch nach und nach die Zwillinge auf der Trümmerbühne sehr lebendig werden lässt. Bei Bruno Cathomas fällt auf, wie sehr er seine spielerische Energie zurückhält und dadurch an Intensität eher noch gewinnt. Seán McDonagh führt das Duo oft an, etwa bei den seltenen grotesken Märschen über die zerbrochenen Steine. Die beiden liefern keinen reinen Textvortrag ab, spielen aber allenfalls Teilaspekte der Geschehnisse, etwa die ausgeschlagenen Zähne durch je einen an den Mund gepressten Stein. Bei aller formalen Strenge, die durch den Sound noch verstärkt wird (Musik: Sandro Tajouri), zeigt die Inszenierung sehr sensibel zwei „Hundesöhne“ in einer zunehmend inhumanen Umgebung. Das eigentliche Gegenüber ist das Publikum, dem das im Heft notierte Schicksal geschildert wird.

Große Nähe und Entfremdung

Die Einheit der Zwillinge wird in den beiden folgenden Erzählungen aufgelöst. Die Verlorenheit potenziert sich, wenn Lucas (Seán McDonagh) nun alleine in den Mauerresten haust. Claus ist über die Grenze ins Ausland verschwunden – noch in strenger Eintracht verstanden sich die zwei darauf, so hörten wir, den ihnen fast unbekannten Vater vorzuschicken, so dass der als Opfer einer Mine den Weg über die Grenze freimachte für den einen der Brüder. Im dritten Teil, wenn die Steinfragmente zu einer Struktur aus Grabsteinen oder Häusern geworden sind, scheitert das Wiedersehen der Brüder nach jahrelanger Trennung. Erkennt Lucas den anderen nicht, verleugnet er ihn? Oder ist das alles nur ein Traum gewesen, sind die Brüder eigentlich ein Mensch oder gar nur eine Metapher?

Ágota Kristófs Trilogie ist ein bedrückendes Werk zwischen Abstraktion und konkreter Geschichte, dessen Aussagekraft im letzten Jahr nicht eben schwächer geworden ist. Mina Salehpour und den beiden faszinierend miteinander harmonierenden Darstellern gelingt es eine Welt entstehen zu lassen, die wenig erfreulich ist – und die doch Menschlichkeit durchschimmern lässt und die dem Gespräch und dem Zuhören eine Bühne bietet.