Europäer im japanischen NIrgendwo: "Das Imperium des Schönen"

Zusammenkommen?

Nis-Momme Stockmann: Das Imperium des Schönen

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:31.01.2019 (UA)Regie:Tina Lanik

Nicht immer treffen sich zwei Visionen. Weil Autor und Regisseurin nicht zusammen kamen, musste die Premiere verschoben werden. Eine neue Regisseurin musste her. Tina Lanik hat nun „Das Imperium des Schönen“ von Nis-Momme Stockmann zur Uraufführung gebracht. In diesem fast „klassischen“ Konversationsspiel, das sogar die 24-Stunden-Regel einhält, geht es um den Clash der Kulturen, der aber allein in einer europäischen Professorenfamilie ausgetragen wird. Er, Falk, fährt mit seiner Familie und der Freundin seines Bruders, Maja, nach Japan. In seinen Seminaren untersucht er nicht nur Schopenhauer: „Denn alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande…“, sondern auch die japanische Haltung des Yugen, die eine Stimmung der Uneindeutigkeit erzeugt. Weil diese sich der Aussage, der Interpretation verweigert, bleibt sie im Jetzt, in der „Oberfläche“ verhaftet, während der Europäer lieber die „Tiefe“ auslotet.

Auch, wenn die Differenz zwischen europäischer und fernöstlicher Philosophie in diesem Stück von Bedeutung ist – der Autor selbst war mehrfach in Japan, dennoch ist ihm das Land nach eigener Aussage immer noch fremd –, so ist das, was nun in Tokio geschieht, eigentlich nur unter eurozentrischen Kategorien zu verstehen. Da prallen Falk, Professor, der gewohnt ist, seine Umwelt nach seinem Bilde zu formen, und Maja, Bäckerfachkraft und die Freundin seines Bruders Matze, aufeinander. Und es kommt, wie es kommen muss. Maja treibt ihn dahin, wo alle seine Armseligkeit erkennen können. Eigentlich ist es so ein bisschen wie in der naturalistischen Dramaturgie: da kommt eine von draußen und vor ihr enthüllt sich die Lebenslüge. Matze und Maja, wie auch Adriana, seine Frau, mit den beiden Kindern reisen ab. Er allein bleibt in der „Stille“ zurück, dem Ort, wo er zu sich selbst finden kann.

Stockmann ist da eine merkwürdige Melange aus naturalistischen, symbolischen und performativen Momenten gelungen. Die beiden Kinder der Familie Falk, in der Stuttgarter Uraufführung in Akademikerkostümen (Kostüme: Natalie Soroko) und langen blonden Zöpfen gespielt, sind mehr als Kinder: Sie beobachten aus einer verfremdenden Distanz das Geschehen, sie werden nicht nur zu Beobachtern, sondern auch zu Kommentatoren der Handlungen. Tina Lanik betont das noch in ihrer Regie. Lautmalerisch verstärken Daniel Fleischmann und Marielle Layher die Spielsituationen der Erwachsenen, legen sich leidend neben sie – wie Boten aus einer anderen Welt. Sie sind zugleich Chiffre und real. Genau in diesem Changieren findet die Inszenierung, die sich als abstraktes Denkspiel strukturiert, den Zugang. Eine leere Bühne, die durch eine schwarze Wand kaum Tiefe hat,  auf den beiden Seiten stehen jeweils vier Stühle und ein Mikrofon, ist der Handlungsort (Raum: Tina Lanik). Das Licht (Stefan Schmidt) kommt hauptsächlich von den Seiten und der Mitte unten, von oben dezent, erst am Schluss zum Shutdown strahlt es von oben rot. An Japan erinnert nur ein Kostümteil der Adriana.

Eine solche Bühne stellt die Schauspieler aus. Im Zentrum steht der Match zwischen Falk und Maja. Der gibt Nina Siewert starke Facetten, von der zunächst Schüchternen hin zu der immer größeren Gewissheit, zu sich selbst gefunden zu haben, zwischen anrührenden und aufrührenden Momenten changierend. Eine starke Leistung. In diesem Clinch hat Falk von Marco Massafra schlechte Karten. Dabei führt Massafra wirklich spannend seine Fassade vor, allerdings gibt er so eine Höhe vor, dass die sich nicht mehr steigern lässt und so mit der Zeit monoton wirkt. Katharina Hauter als Adriana und Martin Bruchmann als Matze haben in diesem Kampf wenig Chancen sich zu profilieren. Während Hauter sich mehr auf die lächelnde Zuschauerrolle zurückzieht, spielt Bruchmann zunächst einen, der allen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen versucht, dann aber sich gegenüber seinem Bruder emanzipiert. Das geht rasant schnell, wie überhaupt Tina Lanik ihr Ensemble in ein hohes Spieltempo treibt, was dem Stück sichtlich gut tut.