Foto: Szene aus Jan Friedrichs Inszenierung in München © Judith Buss
Text:Manfred Jahnke, am 20. Januar 2018
Jan Friedrich inszeniert Wedekinds „Frühlingserwachen“ an der Schauburg in München
„Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind, 1906 entstanden, hat nichts von seiner Aktualität verloren. Jene sexuellen Nöte junger Leute, die unverstandenen ersten Triebe, das Mysterium der Begegnung mit dem anderen Geschlecht, dann noch verbunden mit dem Leistungsdruck durch Elternhaus und Schule: sie haben sich im pornografischen Zeitalter des frei verfügbaten Internets wohl in ihrem formalen Ausdruck verändert, aber nicht strukturell-inhaltlich. Das zeigt auch die Inszenierung von Jan Friedrich an der Schauburg München, die in ihrer Umsetzung einer klugen Strichfassung genau auf die formalen Mittel zurückgreift, die die Medienwirklichkeit heutiger Jugendlicher bestimmen. Allerdings erscheint diese selbst schon wieder theatralisch vermittelt, da die von Friedrich gewählten ästhetischen Techniken schon in den Inszenierungen von René Pollesch und Susanne Kennedy zu finden sind, aber eine eigene Ausformung finden.
Doch der Reihe nach: Alexandre Corazzola hat eine nach vorne mit einer Filmprojektionswand verschließbare dreiteilige Bühne gebaut, links ein Zimmer mit zwei großen Fenstern, sozusagen als Inkarnation eines öffentlichen Innenraums wie zu Beginn ein Klassenzimmer. In der Mitte steht die Diele der Familie Bergmann (Wendla) mit einer Stiege, links dann ein Toilettenraum, der in dieser Inszenierung eine große Rolle spielt, darüber ein Dachboden, auf dem u.a. die Abtreibung statt findet, nach der Wendla stirbt. Eine wichtige Rolle – und da kommt die Assoziation zum frühen Pollesch – spielt dabei der Backstagebereich: Hier werden viele Szenen gedreht, die das Publikum dann auf der großen Leinwand sieht. Eine Livekamera ist immer dabei, manchmal, wenn in den einzelnen einsehbaren Räumen gespielt wird, sieht man auch den Kameramann/-frau, vieles sieht man aber auch nur in der Übertragung.
Darüber hinaus agieren die 4 Schauspielerinnen und 3 Schauspieler mit bemalten Masken aus Kunststoff mit puppenhaften Ausdruck, unterstützt auch noch durch roboterhafte, eckige Bewegungen. Diese Masken haben in all ihrer Niedlichkeit etwas Groteskes, sie symbolisieren die Unschuld der Kinder (aber auch die Naivität der Erwachsenen, die auch diese Masken tragen, in dem Fall wohl mehr „Charaktermasken“ im Marx’schen Sinne), aber sie haben keine Sprache. Denn immer, wenn diese „Masken“ auf der Bühne agieren, dürfen sie nicht sprechen, sondern andere Spieler, die ihre Masken über den Kopf gestülpt haben, übernehmen dann vor der Rampe im Zuschauerraum an Mikrofonen die Dialoge (eine Trennung von Spiel und Stimme, die Susanne Kennedy zur Perfektion entwickelt hat, die hier aber nicht so konsequent angewandt wird). Diese „Verfremdung“ schafft allerdings eine große Distanz, die auch nicht durch die vielen ins Groteske gesteigertem Spielformen überwunden wird.
Und das, obwohl diese Inszenierung durch viele Einfälle überzeugt, wie z.B. in Storchmaske die tödliche Abtreibung der Wendla. Aber manche Einfälle bleiben im Effekthascherischen haften, wie der Regen bei der Beerdigung des Moritz, der nichts Wesentliches zur Geschichte beiträgt. Friedrich entwickelt zunächst auf Filmbasis aber dann auch in der Szene, getrennt in Spiel und Stimme, eine ruhige, stupende Inszenierung, die dann durch hysterisches Umkippen im Schreien immer hektischer wird, bis dann am Ende der Vermummte Herr (Anna Mattes) mit dem Rücken zum Publikum an der Rampe im Zuschauerraum stehend kaum zu verstehen ist, weil das wunderbare Ambiente der Bühne, der dreiteilige Aufbau wurde nach hinten verschoben und mit leuchtenden Skeletten das Auge auf die Szene lenkt.
Alle von der Regie gewählten Mittel machen es schwer, hier eine Schauspielerkritik zu formulieren. Es gäbe hier kleine Soli zu beschreiben, David Benito Garcia beispielsweise in seiner Kabarettnummer als schreiender Rektor, Simone Oswald als Thea und Anne Bontemps als Martha in ihrer wunderbaren Szene im Weinberg, in der sie ihre Liebe entdecken in einem Postkartenambiente aus dem 19. Jahrhundert (nur als Film). Janosch Fries als Melchior, Helene Schmitt als Wendla oder Pan Aurel Bucher als Moritz zeigen ihr Leiden an der Welt der Erwachsenen in extremen Aktionen. Aber merkwürdig, obschon alles auf Emotion aus ist und wunderschöne Bilder geschaffen werden, bleibe ich als Betrachter draußen vor, der Versuch, die Geschichte von Melchior, Moritz und Wendla ins Groteske und in den Film zu treiben, macht sie seltsam fern.