Der Mord an der Pfandverleiherin Aljona Iwanowna (Gabriele Hintermaier) wird erst kurz vor der Pause wirklich thematisch. Er wird nicht vorgeführt, stattdessen reicht sie Raskolnikow die Axt. Was bei Dostojewski zum Zusammenbruch der Figur führt, die von Skrupeln getrieben wird, eine „Laus“ getötet zu haben, wird nicht ausagiert. Auch wenn der ehemalige Student seine Seele herausschreit, sich die Schlinge immer enger um ihn zieht, bleibt es doch eher im Medium eines Diskurses: Da muss einer die Konsequenzen seines ideologischen Denkens schmerzhaft reflektieren, zumal die Armseligkeit eines hemdsärmeligen Materialismus, die diese Gesellschaft korrumpiert, mit der Hand zu greifen ist.
Faszinierender Sog
Obschon Maja Mirković Kostüme geschaffen hat, die sich historisch verorten lassen, auch die Kutsche und ähnliches auf das 19. Jahrhundert verweisen, entwickelt die Regie ein antinaturalistisches Konzept. Die Figuren führen mit wenigen Ausnahmen eine extreme Körpersprache vor. Aber auch sonst entwickelt Frljić starke Bilder: Er lässt im grellen Gegenlicht der Christusstatue den Kopf wegblasen, den Sofja zur Andeutung einer Schwangerschaft sich umbindet; oder da entwickelt sich im Büro von Petrowitsch mit einer Trittleiter eine Slapsticknummer, oder Müller und Strobel sitzen an einem Tisch, zu dem immer weitere Tische kommen, sodass eine große Distanz zwischen den Figuren entsteht (ein Schelm, der dabei an Putin denkt). Höhepunkt im zweiten Teil ist ein vom Schnürboden herabgelassenes Labyrinth mit Hunderten von Äxten, durch das sich am Schluss das Ensemble schlängelt.
Auf dieser Bühne ist immer Bewegung. Erzeugen schon die szenischen Arrangements einen starken emotionalen Sog, steigert sich dieser Eindruck noch mit den Atmosphären, die die Musik von Daniel Regenberg schafft, bei der mal unheimliche Stimmungen entstehen, dann wieder ganz zarte lyrische Töne klingen, mal die Musik auf sich aufmerksam macht, mal fast unhörbar eine Szene grundiert. Regenberg hat eine Musik komponiert, die die Inszenierung ständig begleitet und sie in ihrer Intensität steigert.
Grandiose Schauspiel-Leistung
In diesen Gesamteindruck fügt sich das Ensemble ein, allen voran Paula Skorupa als Sofja, die zur Prostitution gezwungen, sich dennoch eine Schüchternheit bewahrt hat. Scheu, oft mit niedergeschlagenen Augen bewegt sie sich durch die Handlungen dabei zupackend, wo ihre Hilfe gefordert ist, der Religion und dem Leben zugewandt. Ihr Vater, dem Reinhard Mahlberg freundlich-joviale Töne gibt, gerät unter die Kutsche und stirbt. Raskolnikow, der den Säufer kennt und beim Unglück dabei ist, versucht der Familie und der Witwe, die ihrer einstigen herrschaftlichen Herkunft nachtrauert, zu helfen. Therese Dörr gibt dieser Figur Würde, vom Leben zwar geschunden, aber doch auf Form achtend.
Für Raskolnikow ist es nicht einfach, dass Mutter und Schwester nach Sankt Petersburg gekommen sind. Gabriele Hintermaier spielt die Mutter mit würdevoller Zurückhaltung. Sie versteht ihren Sohn nicht und verschließt auch die Augen vor den Problemen ihrer Tochter. Diese wird von Celina Rongen als selbstbewusste junge Frau vorgeführt, die damit zu kämpfen hat, dass die Männer sie besitzen wollen – und darüber hinaus diese Männer mit unlauteren Mitteln kämpfen.
Da ist zum einen Luschin, der Bräutigam, der bewusst eine Frau aus ärmeren Verhältnissen wählt, weil Dankbarkeit sie fügsamer machen sollte. Als er spürt, dass sie sich nicht einfach fügt, schwärzt er mit bösen Intrigen Sofja an. Peer Oscar Musinowski gibt dieser Figur etwas Aasiges, Geiergleiches. Und dann wäre noch Swidrigajlow, bei dem Awdotja als Gouvernante gearbeitet hat, der ihr nachstellte. Nun, nach dem Tod seiner Gattin, möchte er, dass sie zu ihm kommt und da er das Gespräch zwischen Sofja und Raskolnikow belauscht hat, in dem er ihr den Mord gestanden hat, versucht er nun, die Schwester zu erpressen. Sven Prietz gibt dieser Figur etwas leicht Zynisches, zugleich aber spielt er auch das Kind, das unbedingt besitzen möchte.
Im Zentrum aber steht das Duell zwischen dem Untersuchungsrichter und dem Täter. Das machen David Müller und Felix Strobel lustvoll. Und so ganz nebenbei entwickelt sich der Diskurs über gewöhnliche und außergewöhnliche Menschen zu einem sehr aktuellen – ohne es einmal direkt auszusprechen oder anzuspielen: Was da auf der Bühne verhandelt wird, ist von bedrängender Aktualität.