Olaf Weißenberg und Roland Beyer in "Alles Gold was glänzt" am Theater Heidelberg.

Volle Breitseite

Mario Salazar: Alles Gold was glänzt

Theater:Theater Heidelberg, Premiere:22.11.2012 (UA)Regie:Milan Peschel

Leisetreter haben hier nichts zu suchen. In Mario Salazars Comic- und Trash-Theater-Spektakel „Alles Gold was glänzt“ fahren alle Bleifuß. Unmittelbar vor der Eröffnung des sanierten und erweiterten Heidelberger Theaters greift das Ensemble in der kleinen Zwinger-Spielstätte tief hinein in die Trickkisten des Radaus und des burlesken Aktionismus, unterstützt dabei von Milan Peschel. Der Schauspieler und Regisseur aus dem Castorf- und Petras-Stall verabreicht seinen Heidelberger Akteuren eine gehörige Portion Adrenalin. Für die Uraufführung muss sich Peschel gleich mehrere Familienpackungen dieses Stoffs in den Apotheken „Zum güldenen Castorf“ oder „Zum peppigen Petras“ besorgt haben. Denn alle spielen wie gedoped und drehen auch noch den in einer anderen Requisitenkammer besorgten Pollesch-Verstärker bis zum Anschlag auf.

Dem 1980 in Berlin geborenen Dramatiker bekommt diese Dröhnung ganz gut. Denn, ehrlich gesagt, ein ganz so großer Wurf ist seine Breitseite gegen das Unterschichtenfernsehen nun doch nicht. Salazar albert klischeetriefend über eine arbeitslose Familie aus den neuen Bundesländern, die dem Eskapismus vor der Glotze, beim Puzzle oder bei Computerspielen erliegt.

Mama Neumann schaut am liebsten eine Spielshow, die genauso heißt wie der Stücktitel. Darin müssen Arbeitslose gegen Löwen oder Panzer kämpfen – und wenn sie gewinnen, bekommen sie einen Arbeitsplatz als Billiglöhner. Weil die Lebensbedingungen für die Neumanns in ihrer zugemüllten Datsche so mies sind, empfiehlt die von der wunderbaren Christina Rubruck gespielte Mutter ihrem Mann Walter (Michael Kamp), auch noch den übelsten Job anzunehmen. Und die quirlige Tochter Marianne (Karen Dahmen) solle doch, bitteschön, ihren Sex-Appeal auf dem Strich zu Geld machen. Als selbstbewusstes Girl macht sie das sogar, zumal sie davon überzeugt ist, dass ihr Dekolleté „Weltniveau“ habe. Eine Vokabel, mit der Salazar über die Honecker-Ära spottet, denn „Weltniveau“ war zu DDR-Zeiten alles, was aus realsozialistischer Produktion kam: die Plattenbau-Siedlungen, die Landmaschinen auf der Leipziger Messe oder die Spreewald-Gurken.

Opa Neumann hat den Exitus des SED-Regimes noch immer nicht verdaut und trägt stolz die Paradeuniform der NVA-Grenztruppen. Roland Bayer, der schon während der Stoltzenberg-Ära in Heidelberg gespielt hat und mit dieser Rolle gastweise ans Heidelberger Theater zurückgekehrt ist, gibt diesem Ostalgiker schön stoische Charakterschattierungen. Sein Militär-Kumpel, der füllige Nachbar Wiese (Olaf Weißenberg), wünscht sich eine Weltrevolution nach dem Vorbild der Indianer-Häuptlinge, die anno tobak gegen den amerikanischen Imperialismus gekämpft haben. Und weil sein Indianer-Spiel für Erwachsene nicht so recht klappen will, spielt er einstweilen ein anderes Erwachsenenspiel mit der käuflichen Marianne.

Deren eigentlicher Lover heißt Ahmed und ist Asylant aus Afghanistan. Als Hochdruck-Ulknudel bemächtigt sich Dominik Lindhorst dieser Revoluzzer-Natur, die auch mal arabisch anmutendes Kauderwelsch um sich schleudert, natürlich in explosiver Manier. Bliebe noch Sohn Neumann (Volker Muthmann), der seinen „Star Wars“-Fimmel bei Computerspielen auslebt. Zusammen mit Ahmed beamt er sich gedanklich auch schon mal in galaktische Fernen. Wegen dieser Szene hat Peschel dem Salazar-Text ein Update verpasst – durch Anspielungen darauf, dass George Lucas seine Rechte an „Star Wars“ gerade an den Disney-Konzern verhökert hat. Will sagen: Alle sind käuflich, nicht nur die arbeitslosen Ossis, sondern auch die großen Mythen der Medien-Moderne.

Die Peschel-Rezeptur birgt natürlich Risiken und Nebenwirkungen. Zum Beispiel einen gewissen Déjà-vu-Effekt. Auch Nicole Timms Sperrmüll-Bühnenbild aus alten Holzpaletten, Papp-Kisten und Tüten hat man in ähnlicher Form schon hier und da gesehen. Es ist also eher Katzengold, was hier glänzt. Und trotzdem: Second-Hand-Klamauk kann ja auch Spaß machen. Das Premierenpublikum amüsierte sich prächtig.