Von der Macht des Virtuellen erzählt gleichsam der zweite Teil des Abends, Uwe Eric Laufenbergs überzeugende Aufführung von Béla Bartóks einziger Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Hierin lässt sich die junge Schönheit Judit (Vesselina Kasarova) von dem geheimnisvollen Fürsten (Gerd Grochowski) verführen und verliert sich in einem Strudel aus Lügen, Rätseln und Imagination. Als sie seine sagenumwobenen acht Zimmer einsehen möchte, erkennt sie via Laptop als erstes die Folterkammer. Dass sich derweil der trichterähnliche Flur flexibel zusammenschieben oder aufweiten kann, zeugt von einem kaum fassbaren Märchenschloss, wundersam und bedrohlich zugleich. Selbst sein Reich, dem sie hinter einer weiteren Tür offenbart, erscheint schließlich als riesige Wandfotografie am hinteren Ende des Spielraumes – ein Wahrnehmungsereignis, das Zsolt Hamar samt seinem Orchester in monumentaler Tongewalt begleitet. Hierin äußert sich Bartóks kompositorische Gewalt, die sich zuvor in stakkativen Episoden langsam aufbaut, um sich zuletzt ventilartig zu entladen.
Die mediale Schimäre ist somit allgegenwärtig. Einzig Judits Tod, ein erwartbarer Akt der Besitznahme durch den omnipotenten Patriarchen, markiert den letzten Rest an Wirklichkeit. In Wiesbaden wird die klassische Moderne somit postmodern, ohne den epochalen Kern der Werke zu verraten. Man wird zweier bewegender Gratwanderungen gewahr, die eines klar zeigen: Nichts ist so zeitlos fragil wie das menschliche Dasein.