Das Ulmer „Schiff der Träume“

„Wovon will ich eigentlich erzählen?"

Nach Federico Fellini: Das Schiff der Träume

Theater:Theater Ulm, Premiere:28.09.2023Regie:Kay Metzger

Am Theater Ulm zeigt Intendant Kay Metzger Fellinis Film „Das Schiff der Träume“. Es entsteht nicht nur eine kritische Hommage an die Opernwelt, sondern auch ein beklemmendes Stück über eine Welt am Beginn eines großen Krieges.

Mit einer illustren Reisegesellschaft verlässt der Luxusliner „Gloria N.“ im Juli 1914 den Hafen von Neapel: Vor ihrer einstigen Heimatinsel will man die Asche der berühmtesten Sängerin der Zeit, Edmea Tetua, auf dem Meer streuen. Federico Fellinis Film „Das Schiff der Träume“ (1983) erzählt vom plötzlichen Einbruch der Realität in die schöne Welt des Opern-Jetset: Der erste Weltkrieg bricht aus. Das Schiff muss, verfolgt von einem österreichischen Panzerkreuzer, serbische Flüchtlinge aus Seenot bergen. Wie der erste Weltkrieg endet auch diese Geschichte mit einem Inferno: Als die Flüchtlinge an die Österreicher ausgeliefert werden müssen, zündet bei der Übergabe einer der Serben eine Handbombe mit verheerenden Folgen. Der Panzerkreuzer explodiert, dabei trifft auch ein Kanonenschuss die „Gloria N.“ und bringt sie zum Sinken. Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. Seitdem Karin Beier 2015 den Stoff für das Theater entdeckte, wird dieser Fellini öfters auf den Bühnen des Landes gespielt.

Eng an der Filmvorlage

Am Theater Ulm hält sich die Inszenierung des Intendanten Kay Metzger, in der Oper zu Hause, eng an die Filmvorlage. Detailverliebt lässt sich die Regie auf das (anti-)kollegiale Geplänkel von Opernstars ein,  in dieser Bühnenfassung von Metzger noch verstärktdurch den Einbau kleiner Zitate von Arturo Toscanini über Maria Callas. Auf dem Niveau eines Partygeplänkels plätschert der erste Teil vor der Pause vor sich hin, obwohl sich Höhepunkte des Films aneinanderreihen: die Szene mit den Gläsern, die der Maestro des Gunther Nickles bespielt, die Hypnotisierung eines Huhns durch Gesang durch die Mezzosopranistin Saltini der Maria Wester oder dem Wettstreit der Sänger und Sängerinnen im Kesselraum vor den Heizern. Das reiht sich wie eine Perle an die andere, aber ein Spannungsbogen fehlt in den vielen sich durchkreuzenden Geschichten. Wie die der liebestollen Lady Violet von Emma Lotta Wegner und ihrem Gatten Reginald (Markus Hottgenroth) oder von den politischen Intrigen der blinden Prinzessin Lerinia – diese Rolle, die im Film Pina Bausch darstellte, übernimmt Christel Mayr mit einer genauen Blindenstudie – gegen ihren Bruder, den österreichischen Großherzog, den Henning Mittwollen eher kindliche Züge gibt.

Zusammengehalten werden alle diese Geschichten von dem Journalisten und Chronisten Orlando, der als erzählender Zuschauer der Ereignisse, sich in seinen Knickerbockern (Kostüme: Petra Mollérus) auch optisch vom Jetset absetzt. Frank Röder spielt ihn als schlaksigen, sympathischen Burschen, der manchmal auch einsam auf der Brücke steht und seine Rolle reflektiert: „Ich schreibe und erzähle, aber wovon will ich eigentlich erzählen…“ Leitmotivisch lässt Metzger die verstorbene Sängerin Tetua zunächst aus dem Off und später auch live auftreten, begleitet von Vincenzo De Lucia am Klavier, der auch die musikalische Leitung innehat. Wenn Maryna Zubko live im silbernen weiten Kleid auftritt, steht sie auf einer kleinen grünen Insel mitten im Wasser. Maria Rosendorfsky, Maria Wester und Girard Rhoden überzeugen mit Arien aus „Tosca“, „Norma“, „La Traviata“, „La Gioconda“ oder Auszügen aus dem „Requiem“ von Verdi. Darüber hinaus entwickeln sie in dieser Koproduktion von Schauspiel und Musiktheater auch starke Spielmomente. Gaetan Chailly spielt den Stummfilmkomiker Ricotin, der die Tetua tief verehrte und sogar einen kleinen Altar für sich einrichtet. Stephan Clemens gibt seinen Kapitän forsche Züge.

Großartige Szenerie

Der eigentliche Star dieser Aufführung ist die Szenerie von Petra Mollérus. Sie setzt die Bühne unter Wasser, durch das das Ensemble ständig waten muss. Aus dem Unterboden wird ein Podest gefahren, dass mit seiner Reling an die Kommandobrücke eines Schiffes erinnert, aber auch an eine Bordwand. Nach vorne hin zeugen Bullaugen von einem großen Schiff. Für Einzelszenen öffnen sich diese Wände für einzelne Szenen wie die Kabine der Lady Violet, der Schiffsküche oder dem Kesselraum. Wenn das Podium heruntergefahren wird, wird dahinter das Schiffsrestaurant sichtbar. Sternenhimmel leuchten und im Halbdunkel reflektiert sich das Wasser an der Bordwand. Alle diese „schönen“ Momente verschwinden mit dem Auftauchen des Panzerkreuzers, der als Schatten an der hinteren Wand auftaucht und immer größer wird.

Hier auch gewinnt die Inszenierung von Kay Metzger an Tiefe. Angesichts der Flüchtlinge entwickelt er mit seinem Ensemble verschiedene Haltungen, von offener Feindseligkeit bis zur hilflosen Geste, von musikalischer Kritik – die Serben singen ein Volkslied – bis hin zur Angst. Da bekommt das Erzählen eine Richtung.