Szene aus "Himmelwärts"

Trost aus dem Himmel

Karen Köhler: Himmelwärts

Theater:Stadttheater Ingolstadt, Premiere:16.04.2022 (UA)Regie:Mia Constantine

Tonis Mutter ist im Himmel. Ob es wirklich so ist, möchte das Mädchen zusammen mit ihrer Freundin Yum-Yum herausfinden. Dafür dürfen sie auf der Terrasse im Zelt übernachten. Eingewickelt in dicken Thermoschlafanzügen und ausgestattet mit einer Unmenge an Chips und Marshmallows wollen sie mit ihrem selbst gebastelten Weltraumempfänger Kontakt zur verstorbenen Mutter aufnehmen. Das Wunderbare, das nur im Theater sich ereignen kann, geschieht: Plötzlich ertönt in ihrem Radio eine Stimme – nicht die der Mutter, aber die einer Astronautin, Zanna, die in der ISS-Station die Erde umkreist.

In ihrem Stück „Himmelwärts“ verbindet die Autorin Karen Köhler die Trauer eines Mädchens über den Verlust der Mutter mit fundamentalen physikalischen, astronomischen und lebensphilosophischen Basics. In der Neugierde der Mädchen auf das Leben im Weltraum spürt man förmlich die Fragen der Kinder, die in die Proben einbezogen waren. Denn „Himmelwärts“ gehört zu den Stücken von „Nah dran!“, einem Kooperationsprojekt des „Deutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrums in Frankfurt/Main“ und dem „Deutschen Literaturfond“, mit dem die Zusammenarbeit von Autoren und Autorinnen mit ihrem Zielpublikum gefördert wird. Gerade weil im Stücktext den Fragen der Kinder gefolgt wird und dabei eine warmherzige Sympathie der Autorin für ihre Figuren spürbar wird, entwickelt sich ein spannungsvolles Spiel, obschon der Dialog zwischen den beiden Freundinnen und der Astronautin textlastig wirkt.

Der Blick von Oben

Der Uraufführungsinszenierung von Mia Constantine am Jungen Theater Ingolstadt gelingt es, diese Textlastigkeit so auszubalancieren, dass die Spannung des jungen und des älteren Publikums erhalten bleibt: Indem sich die Regie paradoxerweise auf den Text konzentriert und fokussiert, hört man gerne den philosophischen Sätzen zu und genießt die Schönheit der Sprache Köhlers. Darüber hinaus entwickelt Constantine mit Clara Schwinning als Toni und insbesondere Wiebke Yervis als Yum-Yum kleine Spiele voller Situationskomik, die sich zu verselbstständigen scheinen: Sie verlieren sich an die Situation, um dann um so mehr zu überraschen, wenn plötzlich etwas geschieht. Man nimmt dabei Schwinning die Trauer ab, aber auch die Neugierde, die am Schluss dominiert, während Yervis, die von ihrer überfürsorglichen Mutter genervt ist, mit Powerspiel überzeugt.

Olivia Wendt als Zanna hat es insofern schwerer, als sie hinter einem transparenten Vorhang agierend die „vernünftige“ Erwachsene zu spielen hat, die nicht nur die neugierigen Fragen der beiden Mädchen zu beantworten hat, sondern gleichzeitig auch Trösterin ist, die aus ihrer Perspektive eine Welt ohne Grenzen sieht. Wendt spricht dabei fast emotionslos, leise, wie von weit her – eben aus dem Weltraum. Der Vater von Toni (Benjamin Dami), der immer wieder störend die Mädchen zum Schlaf ermahnt, geht in dieser Frauenpower fast unter. Zumal er zumeist weintrinkend und mit einem Fotoalbum in der Hand selbstversunken hinter dem Vorhang sitzt.

Die Bühne von Jan Hendrik Neidert und Lorena Dias Stephens wird von einem weißen, im meist bläulichem Licht transparent werdenden Vorhang im Halbrund abgeschlossen. Auf der linken Seite wird hinter diesem der Raum des Vaters sichtbar, der am Tisch sitzt, halb rechts – ebenfalls hinter dem Vorhang  – ist der Mond sichtbar, der sich ganz rechts mit dem Auftritt der Astronautin in das Bild der Erde verwandelt. Auf der Spielfläche selbst steht nur das Zelt und eine Gruppe von Büschen, in denen die Mädchen ihren süßen Proviant versteckt haben.

„Nah dran!“ hat sich innerhalb der bundesdeutschen Szene eines Theaters für ein junges Publikum zu einem Erfolgsmodell entwickelt. Auch „Himmelwärts“ von Karen Köhler mit ihrem ganz eigenen poetischen Zauber trägt dazu bei!