Tinnitus-Thriller

Marie Schleef: Once I lived with a Stranger

Theater:Schauspiel Köln, Premiere:09.09.2022 (UA)Regie:Marie Schleef

Endlich. Nach fast eineinhalb Stunden ist es vorbei, dieses niederfrequente Summen, ein enervierendes Signal, das sich gnadenlos in die Windungen der Gehörgänge bohrt. Schon beim Betreten des Depots 2 im Kölner Schauspiel wird das Publikum damit beschallt und es schallt permanent weiter – mal leiser, mal lauter, mal mit brachialer Wucht, mal kurz verstummend. Um die Textverständlichkeit muss man sich keine Sorgen machen, denn gesprochen wird während des rund 75-minütigen, von der Regisseurin Marie Schleef entwickelten Stückes kein einziges Wort. Stattdessen werden die Grundzüge der Story auf den Giebel eines auf der Spielfläche (Bühne und Kostüme: Lina Oanh Nguyen) aufgebauten stilisierten Hauses projiziert. Kristin Steffen, abgesehen von einigen ebenfalls stummen Statisten die einzige Schauspielerin des Solo-Stücks, agiert rein pantomimisch.

Eine seltsame Wohnung

Die Story ist eigentlich recht banal: Eine Frau hört in ihrer Wohnung seltsame Geräusche, hat den Eindruck, nicht mehr allein in der Wohnung zu leben. Die Sache wird immer mysteriöser, sie eskaliert und am Ende rückt das SEK an. Das findet nur ein paar Überbleibsel menschlichen Lebens auf dem Dachboden: einen Schlafsack und ein paar Bücher, mehr nicht. Die Geräusche gehen weiter, aber die Geschichte ist vorbei. Und das Stück auch. Es ist eine dieser Geschichten, die man als kleine Randnotiz in der Zeitung liest. Eigentlich banal, aber doch fragt man sich unweigerlich: Was ist da eigentlich passiert? Und wie ging es weiter?

Ausgangspunkt für Regisseurin Marie Schleef war in der Tat eine kurze Geschichte in der britischen Zeitung The Guardian. Sie hat daraus eine originelle Suspense-Story gestrickt, die mit den klassischen Mitteln eines Psychothrillers arbeitet: Spannung, Spannung, Spannung. Die Handlung wird nur symbolhaft angedeutet, einiges wird in Form von kurzen Trickfilmsequenzen projiziert während Kristin Steffen selbiges pantomimisch überzeichnend andeutet. Zusätzlich bewegen sich alle Figuren permanent im Schneckentempo. Und ein bisschen Psycho wird’s auch. Das dumpfe Signal, das das Publikum vor und während des Stückes beschallt, ist jedenfalls mehr als nervend

Erstaunlicherweise entsteht trotz des reduzierten Bühnengeschehens so etwas wie Spannung, und zwar in dem Maße, wie die Handlung eskaliert. Die gipfelt dann im Erscheinen des SEKs, das – natürlich auch im Schneckentempo – den mysteriösen Geräuschen nachzugehen versucht. Das bleibt am Ende zwar erfolglos, hat dem Publikum aber wenigstens 75 erstaunlich spannende Minuten beschert. Kakteen spielen im Übrigen auch eine Rolle. Vielleicht eine stachelige Andeutung für die Störungen, die andere Individuen zuweilen bedeuten können? Die Frage bleibt offen. Genauso offen wie die dem Stück zu Grunde liegende Story.