Aus der Doppeldeutigkeit von Tier und Mensch erwächst auch die parallel geführte Handlung: einerseits die Leidens-Geschichte des Störfaktors Dieter, andererseits eine Serie von punktuellen Rückblicken auf die Schaubühnen-Geschichte vom antiken Griechenland bis zur Spätphase des DDR-Theaters. Dort sollen angeblich die Inspizienten auf der Hinterbühne auf einen roten Stör-Knopf gedrückt und damit ein Stör-Schwein aktiviert haben, wenn die Schauspieler zu sehr in pathetisches („heiliges“) Sprechen verfallen waren.
Vermeidung des Pathos
Denn in der DDR galt: Wer B wie Brecht sagt, muss auch A wie Anti-Stanislawski sagen: das von Bertolt B. geprägte Theater der DDR nach dem 2. Weltkrieg war gekennzeichnet durch die Vermeidung von Pathos, es dürfe nicht ein „Zweig des bourgeoisen Rauschgifthandels“ sein. Statt dessen forderte man zurückhaltendes Spiel, Ironie, Parodie und Persiflage.
In der Inspizienten-Rolle sitzen nun im heutigen Bamberg Antonia Bockelmann und Eric Wehlan vor dem Monitor und kontrollieren das Auftreten eines Akteurs bei einem Monolog aus „Faust, 2. Teil“. Als sie schließlich tatsächlich den Schweine-Knopf drücken, müssen sie feststellen, dass das Stör-Schwein heute seinen freien Tag hat. Der Versuch mit einer ersatzweise herbeigeholten Stör-Schnecke scheitert kläglich.
In verschiedensten Rollen
Zwischendurch wechseln die beiden immer wieder die Rollen: sie diskutieren als Aischylos und Sophokles die Personenregeln des antiken Theaters, sie verfolgen als mitleidende Zuschauer im elisabethanischen Globe Theatre das Drama und Romeo und Julia, sie beklagen im krassen Jugend-Jargon als Goethe und Schiller die fehlenden Rollen für Männer im deutschen Sturm und Drang und sie warten – ganz im Sinne von Beckett – auf irgendetwas; vielleicht sogar auf das Ende dieses kurzweiligen Stückes?
Grandios ist Eric Wehlans Rampensau-würdige Publikumsbeschimpfung als Richard Wagner, während Antonia Bockelmann ihre stärksten Momente hat, wenn sie als Zollstock-Gitarristin einer Schülerband David Bowies „Space Oddity“ performt oder die Gedanken einer Dramaturgin während einer Premierenfeier präsentiert. Ein bisschen deplatziert in dieser kunterbunten Störfall-Revue erscheint der sehr ernsthafte Rekurs auf die angepasste, störungsfreie Rolle von Künstlerinnen und Künstlern in der NS-Zeit mit Gründgens-Parodie als Mephisto.
Alltägliches Stören und Irritieren
Bei der Conclusio gibt es noch ein bisschen Lebenshilfe für das Publikum. Unter den Vorschlägen für das alltägliche produktive Stören und Irritieren hat mir am besten gefallen: „Gehen Sie doch mal nackt ins Theater!“ Regisseur Daniel Kunze steuert den hintersinnigen Text geschickt zwischen absurdem Theater, Quatsch-Comedy-Club. Mockumentary und theaterwissenschaftlichem Proseminar.
Am Ende wird ein leicht touristisch anmutendes Video von Philipp Matuszynski eingeblendet, in dem die beiden Darsteller mit Schweinemaske durch die Bamberger Altstadt ziehen. Nach einem solchen tierischen Vergnügen könnte einem die fränkische Schweineschulter (vulgo „Schäufele“) beim nächsten Besuch einer oberfränkischen Traditionsgaststätte fast im Halse steckenbleiben.