Ich werde es wieder tun

Oliver Schmaering: Ich, Ikarus

Theater:Theater im Marienbad, Premiere:23.05.2025Regie:Tom Schneider

Bei Tom Schneiders bildhaft musikalischen Inszenierung des Ikarus Mythos wird die Bühne des Theater im Marienbad zur Unterwasserlandschaft. Oliver Schmaerings „Ich, Ikarus“ legt den Fokus auf die Perspektive des Sohnes.

Wer die Geschichte des Ikarus erzählt, berichtet sie meistens aus der Perspektive des Erwachsenen: Er berichtet dann von einem Sohn, der nicht auf seinen Vater Dädalus hört und diesen Ungehorsam mit seinem Leben bezahlen muss. Oliver Schmaering untersucht in „Ich, Ikarus“ – 2018 am Berliner Theater in der Parkaue uraufgeführt – den alten Mythos aus der Perspektive des Sohnes. Wenn das Spiel beginnt, ist Ikarus schon unter Wasser. Zögernd versucht er in verschiedenen Anläufen seine Geschichte zu erzählen, bis sie ganz klare Konturen gewinnt. Am Ende steht die Einsicht: er würde es wieder tun und hoch gegen die Sonne aufsteigen.

In seiner Fassung konzentriert sich Schmaering auf einen jungen Menschen in der Pubertät. Dieser ist auf der Suche nach einer eigenen Identität seiner Persönlichkeit, die eigene Entscheidungen treffen und Extreme ausprobieren möchte: Da bleibt der Mittelweg – nicht zu stark Richtung Sonne aufzusteigen und nicht zu nahe am Wasser – ausgeschlossen. Welche Wirkung dabei die Entdeckung der eigenen Autonomie hat, zeigt Schmaering in einer wunderbaren Szene, in der Ikarus seinen Vater nicht mehr versteht: Die Interessen beider haben sich bis zum Nichtverstehen auseinanderentwickelt.

Heizungskeller unter Wasser

Am Freiburger Theater im Marienbad wird der einstige Heizungskeller von Bernhard Ott in eine Unterwasserlandschaft verwandelt. Ringsum wird der Raum von blau angestrahlten Plastikfolien angestrahlt, auf dem feindsandigen Meeresboden stehen in den Spielraum hineinragend Bänke, die das Publikum Teil des Spieles werden lassen. Im Zentrum steht ein kleiner Tisch, auf dem verschiedene Geräte und zwei Mikrofone liegen. Außerdem ragt eine Wand in den Raum hinein, auf die später Alduin Gazquez akrobatisch auf und ab springt – als Akt der Befreiung. Ausgebleichte Hölzer mit skurrilen Formen, wie auch die Reste eines Fischernetzes verdeutlichen die Unterwasseratmosphäre. Und überall verstecken sich die Loopinggeräte. Herabhängende Lampen, meist in Orangetönen sorgen für ein dezentes Licht.

Theater im Marienbad Ich, Ikarus

„Ich, Ikarus“ am Theater im Marienbad. Foto: MiNZ&KUNST

Schmaering hat einen rhythmisch durchkomponierten Text geschrieben, der zur musikalischen Komposition einlädt. Daniel Nerlich hat dies nicht nur durch ständige Loopings wie Wellengeräusche, die den Anfang akustisch begleiten, sondern auch gesungene Passagen vertont. Diese Songs betonen die Suche nach der eigenen Identität: „Ich bin nicht ein irgendwer“ betont Ikarus nicht zufällig in seinem Song. Was Tom Schneider in seiner Regie am Marienbad gelungen ist, ist die Vermittlung eines bildhaften und musikalisch durchstrukturierten Totaltheaters mit einer genauen psychologischen Studie eines pubertierenden Jugendlichen. Das gelingt um so mehr, als Alduin Gazquez diese Rolle nicht nur glaubwürdig verkörpert, sondern darüber hinaus virtuos hin- und herspringt zwischen Spiel und Song, zwischen absoluter Konzentration auf sich selbst und direktem Publikumsanspiel, zwischen der Bedienung der Technik und der Erzählung. Und vor allen Dingen: Gazquez hält den Spannungsbogen von Anfang bis Ende durch. Da bringt es einfach Spaß zuzusehen: ein toller Erfolg für das Theater im Marienbad.