Corinna Harfouch als Hannah Arendt

Hybrides Heldinnenstück

Rhea Leman: Arendt. Denken in finsteren Zeiten

Theater:Thalia Theater, Premiere:11.10.2025 (DSE)Regie:Tom Kühnel

Am Hamburger Thalia Theater inszeniert Tom Kühnel die deutschsprachige Erstaufführung von „Arendt. Denken in finsteren Zeiten“ mit Corinna Harfouch in der Titelrolle. Das Stück von Rhea Leman ist ein hybrides Well-made Play über eine zentrale Gestalt des 20. Jahrhunderts. 

Die Frau steht in der großen zentralen Szene zwischen zwei Männern, dem in Jerusalem angeklagten Adolf Eichmann, Organisator des Holocaust, und dessen Ankläger, dem israelischen Staatsanwalt Gideon Hausner. Mehr und mehr gerät die in die USA emigrierte Philosophin und Publizistin Hannah Arendt in die Rolle einer von Hausner Beschuldigten. Eichmann wiederum versucht ihren differenzierten Blick auf das „Monster“ Eichmann zu seiner Verteidigung zu nutzen.

Das „fiktive Theaterstück“, „inspiriert von Hannah Arendts Leben und Werk“ verbindet in dieser Szene die Dokumentation des 1961 weltweit beachteten Prozess, der zum erwarteten Todesurteil führte, mit den Folgen, die durch Arendts publizistische Aufarbeitung entstanden. Ihr anhand Eichmanns als eines Bürokraten der Vernichtung entwickelter Begriff von der „Banalität des Bösen“ stieß damals besonders unter jüdischen Intellektuellen und in Israel auf harten Widerspruch.

Kluge Frau zwischen allen Stühlen

Der deutschsprachigen Uraufführung am Hamburger Thalia Theater gelingt in der Szene bei aller Komplexität ein starkes Bild. Corinna Harfouch zeigt da eine kluge und selbstbewusste Frau, die in dieser verhängnisvollen Konstellation keine gute Figur abgeben kann. Insgesamt spielt Harfouch zwischen André Szymanski (Hausner und ansonsten vor allem als verstorbener Ehemann) und Oliver Mallison (Adolf Eichmann und weitere Figuren). Arendt war keine bedingungslose Anhängerin Israels als uninationalem Staat. Und spätestens da touchieren Stück und Inszenierung aktuellste politische Aufregungen und menschliche Dramen. Gerade hat ein offener Brief Milo Raus an Kulturschaffende gegen das Schweigen im Gaza-Krieg zu einer ablehnenden Antwort u.a. durch die mit Rau ansonsten verbundene Elfriede Jelinek geführt.

Dass die Inszenierung hier selbst keine „Position“ bezieht, ist gewiss kein Makel. Denn zur Besinnung angesichts der gegenwärtigen Aufgeregtheiten, kann gerade der differenzierte Rückblick auf die Aufarbeitung des Holocaust hilfreich sein. Das Stück der dänisch-amerikanischen Dramatikerin und Theatermacherin Rhea Leman nutzt eine große Preisverleihung in Kopenhagen im Jahr 1975, um Arendt bei der Formulierung ihrer Dankesrede im Hotelzimmer im Selbstgespräch zu zeigen, das sie vor allem mit zwei toten Männern zeigt: ihrem Mann Heinrich Blücher und Adolf Eichmann.

Dass Well-made Play mit Geistergestalten stellt eine kluge und freundliche, zuweilen leicht überforderte Heldin in den Mittelpunkt. Das ist anregend und bleibt doch zuweilen auch unbefriedigend. Stefano Massini hat in „Eichmann – wo die Nacht beginnt“ den theatergemäß klareren Weg gewählt – über den Anti-Helden in der ebenfalls fiktiven Konfrontation mit der Lichtgestalt Arendt.

Mangel an Vertrauen in den Text

Tom Kühnels Inszenierung baut die dokumentarischen Aspekte des Dramas aus. Gelungen ist das, wenn vor dem großen Verhör Corinna Harfouch und ihre Mit-Streiter in das historische Foto des Eichmann-Prozesses hineingestellt werden. Jo Schramms Bühne auf einer Holzschräge funktioniert durchgehend mit Videobildern (ebenfalls Jo Schramm). Das neunzigminütige Spiel beginnt auf einer Matratze, um die herum das Kopenhagener Hotelzimmer eingeblendet ist, samt Blick auf eine Straße.

Die Hybridität des Dramas baut die Hamburger Inszenierung noch weiter aus, indem vermeintliche Interviews mit Weggefährt:innen oder Kritikern Arendts eingeblendet werden. Oder wenn gar Aussagen Arendts aus dem berühmten Fernsehinterview mit Günter Gaus von 1964 eingespielt werden, und Harfouch dazu wie im Playback die Lippen bewegt. Die Begegnung mit einem faschistoiden Holzfäller bei der Flucht Arendts 1933 aus Deutschland machen Regie und Filmregie gar zu einem Horrorstreifen. Allerdings gehen in dieser digitalen Actioneinlage die Erkenntnisse Arendts über das Gedeihen von Totalitarismus bei Einsamkeit der Menschen völlig unter.

Am Ende singen dann die Protagonistin und der kleine Männerchor an ihrer Seite „Wo kommen die Gedanken her“. Anrührend, aber auch etwas verwirrend dieser kurze Abend zwischen Biopic, Dokudrama, Installation und ein wenig Liederabend. Das Premierenpublikum ist begeistert.