Szene aus "Dantons Tod reloaded"

Kein schöner Schein

Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani: Dantons Tod reloaded

Theater:Thalia Theater, Premiere:07.09.2023 (UA)Vorlage:Dantons TodAutor(in) der Vorlage:Georg BüchnerRegie:Amir Reza KoohestaniKomponist(in):Matthias Peyker

Der iranische Regisseur und Theatermacher Amir Reza Koohestani überschreibt mit Mahin Sadri den Klassiker „Dantons Tod“ von Georg Büchner. In der Koproduktion von Kunstfest Weimar und Thalia Theater Hamburg thematisiert er Kämpfe um Bedeutungshoheit in Europa, Sexismus und die Revolution im Iran – und hinterfragt den Kulturbetrieb.

Die Zeiten von Prügeleien im Theatersaal sind schon lange vorbei. Mal ist das Publikum begeistert, mal gelangweilt, manchmal auch schockiert. Aber die Verabredung gilt: Was auf der Bühne (im Saal, im Theaterkontext) passiert, bleibt auch dort.

Nicht selten wird deswegen nicht ohne eine Portion Zynismus gefragt, ob das Publikum im sozialkritischen Theater bloß sein Gewissen beruhige: „Schlimm ist das schon, aber gut, dass wir drüber geredet“ – so ungefähr das Gespräch auf dem Heimweg in die warme Wohnung mit dem gefüllten Kühlschrank. Diese Sicherheit lassen Amir Reza Koohestani und Mahin Sadri bröckeln bei der Uraufführung von „Dantons Tod reloaded“ im Rahmen vom Kunstfest Weimar.

Hinter der Bühne

Sechs ungefähr zwei Meter hohe Spiegel stehen auf der Bühne (Mitra Nadjmabadi). Vor einem sitzt schon Stefan Stern vom Thalia Theater Hamburg. Hin und wieder schaut er in den Spiegel und richtet seinen Seitenscheitel, doch meistens schaut er ins Publikum, dass seine Plätze einnimmt. Er wartet. Ob Danton wartet oder der Schauspieler Stefan Stern, weiß er vielleicht selbst nicht.

Zwei Frauen sitzen sich gegenüber auf zwei Hocken. rechts steht eine weitere Frau.

St. Just (Toini Ruhnke) will, dass sich die Frauen im Ensemble verbünden. Foto: Krafft Angerer

Dann betritt Pauline Rénevier alias Camille die Bühne und legt ihr Kostüm an. Sie reden miteinander über den vorherigen Abend, die Premierenfeier, auf der irgendetwas vorgefallen sein muss. Sie wirkt etwas unterspannt, wirft ihre Erwiderungen locker von sich; sie bleibt undurchschaubar. Er hingegen ist etwas zu präsent, der Text etwas zu korrekt für ein echtes Gespräch – als würde er ein Rolle spielen.

Als sich die beiden gerade in den Armen liegen, betritt ein nächstes Paar die Bühne und die Situation spitzt sich zu: Robbespierre alias Oliver Mallison ist der Vater von Camille und ist schockiert von dieser Entdeckung. Er hält seinen Kollegen Danton für einen schlechten Menschen. Er wirkt ein bisschen fahrig, verunsichert. Stärker, abgeklärter tritt da Neda Rahmanian alias Lucile auf: Für sie ist Danton klar schuldig, die Regieassistentin belästigt zu haben. Schließlich tritt noch Toini Ruhnke alias St. Just auf – gesetzt, still, aber klug – und verkündet, dass die Vorstellung ausfällt, weil ganz Paris gegen zu geringe Löhne streikt.

Iran-Proteste und Metoo-Debatten

Als alle weg sind, betritt Lucile die Bühne und videotelefoniert mit ihrer Schwester, die gerade mit dem Auto durch eine Stadt fährt, vermutlich Teheran. Bitte poste kein Video mehr, verlangt Lucile. Sie hat Angst, dass das Regime im Iran ihre Schwester sonst wegsperrt, weil es gegen die Proteste nur mit Gewalt reagiert. Später erscheint auf den Spiegeln, die gleichzeitig Bildschirme sind, Auszüge aus einem Manifest von iranischen Studentinnen, die „Nein“ schreien.

Eine Frau sitzt im Halblicht auf der Bühne. Hinter ihr läuft ein Video einer Frau mit lockerem Kopftuch.

Lucile (Neda Rahmanian) fragt sich, was mit ihrer Schwester im Iran passiert ist. Foto: Krafft Angerer

Das Stück hat gefühlt gerade erst begonnen und schon werden zahlreiche wichtige Themen verhandelt: Wie soll man mit sexueller Belästigung umgehen – #MeToo? Ab wann ist es Belästigung und wer darf sagen, was in Ordnung ist und was nicht? Gerade wird auch viel über Arbeitsklima an deutschen Theatern gesprochen: Wie soll man als Gruppe zusammenwachsen können, wenn man gleichzeitig um die wenigen Stellen konkurrieren muss?

Gleichzeitig scheinen auf der ganzen Welt Feuer auszubrechen wie im Iran: Der Großteil der dortigen Bevölkerung protestiert mit immer neuen Formen und Zeichen gegen die autoritäre Regierung – und riskiert dabei immer wieder das eigene Leben, was wir uns in Europa kaum vorstellen können. Schon die Andeutung dieser Krise lässt die gefakte Gerichtsverhandlung gegen Danton in einem ganz anderen Licht erscheinen. Auch der Monolog seiner Geliebten Marion klingt ganz anders, wenn sie Übergriffen, von Ausgrenzung, von dem „Bruch“ in ihrem „Wesen“ berichtet, scheint Büchner das fast schon für Frauen in iranischen Gefängnissen geschrieben zu haben.

Büchner akut

Doch die Grundsituation scheint die gleiche zu bleiben: Zu Zeiten der französischen Revolution haben die Menschen den Adel gestürzt, weil sie nicht zu essen hatten. Heute brennen die Pariser Banlieus, weil die Menschen keine Zukunftsperspektiven haben. Und auch die Proteste im Iran werden durch Armut und sinkende Lebensqualität angetrieben.

Nur das muss man im Hinterkopf behalten und schon entfaltet Büchners „Dantons Tod“ seine akute Wirkung. Koohestani und Sadri haben den Text geschickt zusammengestaucht, sodass die wichtigsten Szenen und besten Momente ineinander zu fließen scheinen. Inszeniert wird dieses Stück im Stück (das die vorgestellte Schauspieltruppe als Gastspiel zeigt) im modernen Politikstil mit eng geschnittenen Anzügen (Kostüme: Nataha Jenkins). Danton ist plötzlich aufgedrehter, affektierter und sein Gegenspieler Robbespierre wirkt größer in seinem Ernst und seiner Wut. Achtung: Es sind Schauspieler, die Schauspieler spielen, die eine Rolle spielen. Gerade Büchner-Fans dürften den unverstellten Blick auf den Text lieben.

Zwischen Theaterwahrheit und Realität

Der Rahmen gibt dem jedoch eine ganz andere Tiefe: Wie soll man angesichts der Krisen noch Theater spielen? Immer wieder bricht die Realität ein: Lucile schaut in den Spielpausen auf ihr Handy und sieht, dass ihre Schwester im Iran wieder ein Video gepostet hat. Mitten auf der Szene (im Stück im Stück) wird sie gefragt, wie es ihr damit geht.

Blick auf die Bühne: Silhouetten stehen zwischen Bildschirmen.

Es geht in „Dantons Tod reloaded“ um die Frage nach Solidarität. Foto: Krafft Angerer

Camille tritt auf, nachdem sie mehr über den Vorfall mit der Regieasisstentin erfahren hat. Obwohl die Souffleurin (Birte Hellström) ihr immer reinruft, schweigt sie, verweigert aus Zorn für lange Zeit, weiterzuspielen. Müssen Menschen auf der Bühne immer funktionieren? Diese Wechsel und Brüche nehmen zu und geschehen immer unvermittelter.

Eine der großen Stärken von „Dantons Tod reloaded“ liegt in der Ungewissheit: Die belästigte Regieassistentin tritt nie auf und was wirklich passiert ist, weiß niemand. Ob, und wenn wer aus dem Ensemble entlassen wird, erfährt das Publikum nicht. Und auch was aus Luciles Schwester im Iran wird, kann nur vermutet werden. Am Ende fällt die Guillotine. Immer wieder. Wenn sie trifft, bleibt unklar – Danton? Dantons Schauspieler? Luciles Schwester? Hoffentlich ist es nicht die Wahrheit. Denn diese Inszenierung zeigt, indem sie den schönen Schein immer wieder durchbricht, wie wichtig die Wahrheit ist.