Foto: Marin Blülle, Torsten Ranft und Viktor Tremmel in "Die rechtschaffenen Mörder" in Dresden © Sebastian Hoppe
Text:Ute Grundmann, am 23. Oktober 2021
Der flotte junge Mann tapeziert einen Hundert-D-Mark-Schein an die Wand: Die Verhältnisse haben sich gewendet. Ein giftiges, aber auch allzu griffiges Bild für den Umbruch in der DDR. Den verkraftet ein Dresdner Antiquar so schlecht, dass er vom Büchermenschen zum Rechtsaußen wird. So schildert es Ingo Schulze in seinem Roman „Die rechtschaffenen Mörder“. Regisseurin Claudia Bauer hat nun versucht, das Buch auf die Bühne des Dresdner Staatsschauspiels zu stellen, wo alle den „Hunni“ anbeten, nur einer eben nicht.
Alle tragen glitzernde Roben, die Männer gerne schulterfrei. Zusätzlich nutzt Bauer ihr liebstes Verfremdungsrequisit: Masken, die den gesamten Kopf verhüllen und hier lange Lügennasen tragen. Nur einer kommt ohne Pinocchio-Verkleidung durch: Autor Schultze (Moritz Kienemann), dem man ein „t“ in den Namen geschmuggelt hat und um den es hier genauso sehr geht wie um den Antiquar Paulini.
Ungewöhnlich eindeutig
Diesem Bücherbewahrer wollte Schul(t)ze mit seinem Buch ein Denkmal setzen, doch dann wendete der sich von der Literatur ab und der rechten Gesinnung zu. Und so quält der Autor sich und seine Lektorin (Christine Hoppe) mit der Frage durch das Anfangsvideo, ob er seinen Roman so stehen lassen könne. Pragmatische Antwort: „Schreib ein paar Kapitel um und du hast eine Novelle zu unserer Zeit.“ So eindeutig ist Claudia Bauers Inszenierung selten, denn sie will möglichst viele Ebenen und Beziehungen aus dem Buch vor’s Publikum bringen. Und so tummeln sich auf der dekorativ-leergeräumten Bühne von Andreas Auerbach die äußerlich neutralisierten Figuren, vorerst machen nur die Stimmen über Mikros sie kenntlich. Neben ihnen wird gemächlich ein Lüster samt Lichterketten in die Höhe gezogen, symbolisiert später die bibliophilen „Bückwaren“ des Antiquars und bricht natürlich zusammen wie so viele Leben nach der „Wende“.
Die hat Claudia Bauer (Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig) schon vor der Hälfte ihrer gut zweistündigen Inszenierung erreicht, die Handlung beginnt immerhin 1953. Da will Klein-Paulini noch Leser werden, wird Antiquar und lebt abgeschottet in seiner Bücherwelt. Das wäre eine stringente, spannende Geschichte. Zumal Torsten Ranft diesen Büchernarren sehr facettenreich spielt: Weltentrückt, Dichter- wie Alltagssätze repetierend, gequält, schließlich so empört, dass ihm Buchstaben zu Waffen werden. Dazu singt, summt, synkopiert das „Auditivvokal Dresden“ vertonte Zitate von Benn, Verlaine oder Lenau (Musik von Peer Baierlein) – das Beste an dieser Inszenierung. Doch die mischt immer wieder den Autor ein, oft per Video, unangenehm nah aufs Gesicht gefilmt, der seine Überlegungen, Skrupel, Lieben und Gelüste ausbreitet.
Paulini dagegen verkraftet schon schwer, dass seine Ex mit der Stasi „getuschelt“, aber „niemand geschadet“ hat. Seine Buchstabenwelt bricht zusammen, als Bücher wie Altpapier auf Müllhalden gekippt werden. Da mag man an den westdeutschen Pfarrer Weskott denken, der Bücher ebenso rettete wie Peter Sodann, der in einer Bibliothek immer noch alle DDR-Bücher sammelt. Der Antiquar hatte schon weggesehen, als Sohn Julian sich mit tschechischen Jugendlichen geprügelt haben sollte. Dass er aber in die rechte Ecke abrutscht, kann nicht mal Torsten Ranft glaubhaft machen, auch, weil man ihm kaum mehr als ein paar AfD-Parolen zu brüllen gibt. Viel mehr interessieren Bauer, die mit Uta Girod und Jörg Bochow auch den Text schrieb, die diversen Beziehungskisten, die geräuschvoll auf- und zugeklappt werden.
Schon früh hatten die Figuren ihre Masken abgelegt, abgerissen wurden sie ihnen nicht. Auch nicht dem Autor-Rivalen Gräbendorf (Viktor Tremmel), der wendig seinem Motto „Lernen kann man alles“ folgt. Als Finale spinnt die Lektorin die Anfangsbedenken fort, mit denen Schul(t)ze den Abend eröffnete. Er trägt ja als einziger keine Lügennase – sagt der Autor also die Wahrheit? Eine der vielen Fragen, die offenbleiben.