Foto: Im Mittelpunkt: die Diva. Wiard Witholt (Philippe), Sally du Randt (Madame Saint-Laurent © Jan-Pieter Fuhr
Text:Klaus Kalchschmid, am 4. Februar 2018
Das Theater Augsburg präsentierte die Deutsche Erstaufführung von Rufus Wainrights Oper „Prima Donna“.
Sechs Jahre hat sie keinen Ton gesungen, und nun sitzt Régine Saint Laurent am Flügel und begleitet sich bei jener Arie aus „Aliénor“, die einst ihren Ruhm begründete. Tragischerweise hatte sie freilich bereits bei der Premiere ihre Stimme verloren. Sally du Randt spielt in diesem intimem Moment selbst Klavier und singt mit einer verhaltenen, vorsichtigen Intensität auf Französisch eine Musik, die klingt wie ein echtes Lied von Chausson, Fauré oder Debussy. Da ist – dank des faszinierend schönen, gehaltvollen Soprans und des Charismas der echten Augsburger Prima Donna, die hier und andernorts seit 15 Jahren in jeder Rolle zu faszinieren vermag – der einstige Star ganz bei seiner Sehnsucht und seiner Kunst. Und wenn das Ganze dann kurz mit gesprochenem Dialog weitergeführt wird, ahnt man, was für ein schönes Musical mit ein paar ariosen Schwerpunkten aus Rufus Wainwrights erster durchkomponierter Oper von 2006 (die zweite, „Hadrian“, folgt im Herbst in Kanada) vielleicht hätte werden können.
Im zweiten Akt nimmt die bislang etwas seicht und unentschieden in sich kreisende Musik, die sich an Schreker, Korngold & Co. anlehnt, aber weder deren melodische noch harmonische Finesse erreicht, etwas Fahrt auf, und auch die Augsburger Philharmoniker unter Lancelot Fuhry vermögen nun mehr Glanz zu verbreiten. Die Musik bedient sich unverhohlen bei Puccini (einmal wird sein Quartett „Chrysanthemen“ fast zitiert) und erweckt noch einmal imaginäre französische Oper zum Leben, wenn Régine und der Journalist André (Roman Poboinyi muss mit unsäglicher Perücke und Schlabberlook einen unattraktiven Tenor darstellen, singt aber schön) ein Duett aus „Aliénor“ zum Besten geben. Mit feiner Ironie gewürzt ist die Szene, wenn Régine Stimmübungen macht und so langsam an Selbstvertrauen gewinnt. Doch diese Sicherheit währt nicht lange. Wenn die Sängerin endlich beschließt, nie wieder aufzutreten, dreht ihr jahrelanger Vertrauter Philippe (mit elegantem, virilem Bariton prägnant verkörpert von Wiard Witholt) hohl, bedroht und beschimpft sie aggressiv. Aber auch dieser Ausbruch in einen zur Abwechslung mal dissonanten Akkord verpufft, ja wird unfreiwillig komisch, wenn Madame und ihr neues Zimmermädchen Marie (etwas penetrant soubrettig: Jeanette Wernecke) schrill nach der Polizei rufen.
Mit welcher Resignation und doch Grandezza Régine am Ende den Premieren-Mitschnitt der „Aliénor“ ein letztes Mal signiert, könnte ein berührendes Finale nach dem Vorbild der Marschallin vom Ende des 1. Akts „Rosenkavalier“ werden, doch Wainwright klebt einen allerletzten Monolog an, in dem Madame Régine Saint Laurent in Paris das Feuerwerk zum französischen Nationalfeiertag bestaunt – und zitiert allen Ernstes ausgiebig die Marseillaise. Regisseur Hans Peter Cloos (auch Bühne und Videokonzept) lässt dazu auch Psychatrie-Personal auftreten – und wieder verschwinden, bis sich der intime Raum mit ein paar leeren Rahmen und einem rätselhaften Frauenporträt wieder schließt, aus dem zu Beginn ein großer Salon mit Flügel im Zentrum wurde. Hier nun signiert die einsame Régine versonnen Porträt-Postkarten, die ihr auf den Boden gleiten.
Weil Wainwright ausgiebig rein instrumentale Musik komponiert hat, gibt es zu Beginn des zweiten Aktes eine Art stumme Faschingsparty und flimmert zur Ouvertüre mit der unruhig auf einem Sessel schlafenden Prima Donna der Fernseher. Später gibt es auf Leinwänden links und rechts der Bühne – teilweise in Endlosschleife – Ausschnitte aus Hollywood-Filmen über alternde Diven wie „All about Eve“ und „Sunset Boulevard“, aber auch die Schlussszene aus „Lost Highway“ und eine intime Szene mit zwei Lesben. Damit diese Videowände fast permanent bespielt werden können, macht völlig unmotiviert auch noch ein auf der Bühne herumwuselnder Kameramann Nahaufnahmen.
Wenig nachvollziehbar blieb, weshalb man aus der französischen Originalfassung, um die Wainwright für die geplante Uraufführung an der New Yorker Met, die sich Englisch wünschte, vergeblich kämpfte (weshalb die Uraufführung erst 2009 in Manchester stattfand), von einem Dr. Lothar R. Nickel für die deutsche Erstaufführung eine ungelenke deutsche Version erstellen ließ. Der oftmals sperrige Rezitativ-Charakter der Gesangslinien wurde so noch betont. Vielleicht wäre auch eine sanfte Annäherung der 120 Minuten Spieldauer an die 40-minütige Konzertversion keine schlechte Idee gewesen. So gab es neben berührenden Momenten – vor allem wegen Sally du Randt – auch viel Leerlauf, nicht zuletzt dank einer unbeholfenen, unentschiedenen Inszenierung, die das Geschehen nicht plausibler, sondern mit Aktionismus interessanter zu machen suchte.