Szene aus "Willkommen in Theben" in Oldenburg.

Schuld sind immer die Umstände

Moira Buffini: Willkommen in Theben

Theater:Oldenburgisches Staatstheater, Premiere:13.09.2012 (DSE)Regie:Christina Rast

Auf T-Shirts tragen sie ihre Namen: Eurydike, Theseus, Antigone, Teiresias, Agläa, aber auch Thalia und Plautus. Und sie sagen Sachen wie: „Wir brauchen Geld nicht Ideale, Stabilisierung kommt allein durch Wirtschaftswachstum.“ „Du wirst zur Filzlaus in meinem Schamhaar.“ „Wenn ich das nächste Mal wiederkomme, hoffe ich eine transparente staatliche Infrastruktur zu sehen.“ „Wenn du die Absicht hast, den Gott der Macht zu ficken, schlaf nicht an seiner Seite ein.“

Das Stück spielt „irgendwo im 21. Jahrhundert“ und heißt „Willkommen in Theben“. Dort soll nach einem Jahrzehnt der Bürgerkriegs-Gräuel eine Demokratie erblühen. Griechische Mythen und antike Dramen werden mal wieder alltagssprachlich ein wenig aufgemotzt (sexualisiert) sowie mit aktueller Boutiquen-Mode kostümiert und so als zeitgenössische Politfabel behauptet? Nein! Moira Buffini legt kein Relaunch der sophokleischen „Antigone“ vor, sondern hat (mit allzu üppigem Personal) ein durchaus eigenes Stück geschrieben. Im klassischen Agora-Setting eines öffentlichen Raumes und mit britischem Dramenrealismus werden Möglichkeiten eines zivilisierten Miteinanders diskutiert. Die ganz heutig charakterisierten Figuren wollen ihre Namensgeber widerlegen, nicht mehr Götterfantasien als ihr Schicksal ausleben, sondern Zukunft selbst gestalten. Dazu werden die Machtkarten neu gemischt.

Buffini schreibt immer wieder über lebensklug-intelligent-starke Frauen – und entwirft Eurydike als solche. Sie ist nicht mehr die unscheinbare Gattin des großen Staatsmannes Kreon, sondern dieser einfach tot und sie Präsidentin Thebens. An ihrer Seite steht ein pragmatisches Frauenkabinett: keineswegs nur feministisch idealisiert, sondern auch schnatter-zickige Weiblichkeitsklischees auslebend. Als Symbolfigur für politischen Wandel und humanistischen Fortschritt hatte die Autorin Liberias Ellen Johnson-Sirleaf im Sinn. In Oldenburg tritt Eurydike aber mit Julija-Timoschenko-Frisur auf. So ist gleich klar, dass die Frauenpower-Phase kein ungetrübter Triumph wird. Buffinis Stück argumentiert: Schuld sind die Umstände. Eine gewaltbereite Opposition und das von Siegeseuphorie und Rachegelüsten getriebene Volk müssen in Schach gehalten werden, um einen Rückfall ins Chaos des Blutbadens zu verhindern. Wer jetzt nachhaltig Gutes tun will, braucht sofort Schutz und vor allem viel Geld. Daher wird Theseus wie ein Deus ex Machina auf die Bühne gehievt, die von Franziska Rast als Gerümpelkammer zum Thema Krieg zugestellt wurde.

Als Vertreter der westlichen Supermacht Athen (sprich: USA) gibt sich dieser Möchtegernfrauenheld unverhohlen imperialistisch, sieht in Theben nur „eine ausgedehnte ökonomische Entwicklungszone“. Es geht ihm wohl um Sicherung von Einflusssphären, Rohstofflieferungen, Absatzmärkten, Produktionsstätten, Müllabladeplätzen – als Gegenleistung für Friedensmission und Investitionen. Macht statt Vertrauen. Also: Unsicherheit. Auch zwischen Mann und Frau. Wenn Eurydike und Theseus am Verhandlungstisch sitzen, flüchtet er in einen weiblich koketten Habitus, sie in eine aufreizend maskuline Pose. Beide finden aber keinen Weg zum Dialog, nur den Zwang zum Kompromiss.

Soweit die Exposition. Sie dauert fast drei Stunden. Dann ist die deutschsprachige Erstaufführung auch schon vorbei, ohne dass ihr noch einmal erzählerische Dynamik erwachsen wäre. Oder Humor. Statt dessen ein guter Gags. Wenn Zeugenaussagen fürs Kriegsverbrechertribunal gesammelt werden sollen, flüchten die Volk darstellenden Statisten von der Bühne: Auf diese Art Dokutheater haben sie echt keine Lust mehr … In einem intimen Kammerspiel, da könnten sich die Welten des Stückes treffen, in aller Ruhe erleb- und nachhvollziehbar werden – in Oldenburg aber werden sie nur deskriptiv ausgestellt auf großer Spektakelbühne. Es liegt nicht „Erregung in der Luft“, wie Theseus meint, sondern nur Grillengezirpe-Sound und sanft Atmosphäre herbeistreichelndes Perkussionieren. Und wann huschte mal das Staatstheater-Ensemble so unscheinbar durch ein Stück?

Das alles ist umso erstaunlicher, da Christina Rast inszenierte, die auch in Oldenburg schon mit überbordendem Einfallsreichtum, wahnwitzigen Spieltempi, schrill-witzig pointierten Bühnenzaubereien beeindruckt hat, und nun nur routiniert den Text runterspielen lässt. Beispielhaft die 1. Szene: Bei Buffini bedroht das verrohte Humankapital Thebens mit zynischen Parolen und brutalem Aktionismus das Publikum, schürt mit Detonationen Ängste – bei Rast wird beiläufig ironisch mit Holzgewehren aus der Laubsägewerkstatt agiert und ein Tischfeuerwerk gezündet. Puff macht es. Verpufft ist jede Not, Dringlichkeit, das Interesse an dem Stoff …