Foto: „Das lange Weihnachtsmahl” von Thornton Wilder © Theater Duisburg
Text:Ulrike Kolter, am 3. Dezember 2022
„Eine jut jebratene Gans ist eine jute Jabe Jottes!“ – Brust oder Keule, noch etwas Rosenkohl, und dazu ein Glas vom guten Riesling: Es gibt familiäre Rituale, die überdauern treu und steif die Generationen. So auch bei Familie Bönisch, deren Schmaus in Thornton Wilders Einakter „Das lange Weihnachtsmahl“ über 90 Jahre währt. Drei Generationen – beginnend dem Fabrikantenpaar Molly und Carl – wachsen da heran in der verrußten Stadt, mit besonderem Fokus auf den männlichen Nachwuchs, der einmal Carls Tabakfirma übernehmen könnte.
Eine Großfamilie in Duisburg
Das Setting des Spiels wurde vom amerikanischen Mittelwesten in die Zechen- und Industriestadt Duisburg verlegt, treu am Plot bleibt die Bearbeitung von Hermann Kewitz und fliegt im Zeitraffer durch Geburt und Tod, Freud und Leid einer Großfamilie. Voll Andeutungen und Illusionen gestaltet Regisseur Michael Steindl das Spiel im Spiel, die Alternden ziehen sich irgendwann selbst schlohweiße Perücken über oder sinken klapprig in sich zusammen am langen Esstisch, der das einzige Bühnenelement in der Ausstattung von Anja Müller ist. Links und rechts an den Seiten postiert sind zwei große Tore: eines mistelzweigbegrünt, aus dem das Kindermädchen immer wieder den Nachwuchs hereinschiebt; das andere grau als symbolischer Weg in den Tod, den nach und nach alle Beteiligten gehen müssen. Hinter dem Esstisch thront eine riesige Holztür für die Auftritte der Familienmitglieder, der Tisch selbst bleibt leer – nur pantomimisch werden Gans und Wein konsumiert, das szenische Agieren beschränkt sich auf wenige Schritte.
So vergehen 60 Minuten flott mit den immer gleichen Sprüchen, der Nachwuchs verlässt bald das in die Jahre gekommene Haus, man geht Eislaufen, erfreut sich an der Weihnachtspredigt und verteilt Rosenkohl – bis nur Tante Victorine (Marlene Raab) noch übrig ist am Tisch und zittern ein Buch liest, nachdem auch Arnold (famos: Adrian Hildebrandt) und Maria (Damira Schumacher) das Zeitliche gesegnet haben.
Was bleibt vom Weihnachtsritual?
Das alles gerät amüsant und wird vom Ensemble um Tatjana Poloczek (als stets positive Molly Bönisch), Jonathan Dorando (seriös: Carl Bönisch) und Wolfgang Völkl (Vetter Hugo) engagiert gespielt. Und doch fragt man sich, was uns dieses Stück heute noch sagen kann oder will in einer Zeit, wo familiäre Weihnachtsrituale so ganz anders ablaufen und Großfamilie keine bürgerliche Konstante mehr ist. Als in der Schlussminute noch ein stattlicher Kronleuchter von der Decke knallt, bleiben manche Fragen offen, die man bald beim eigenen Weihnachtsmahl wird diskutieren können.