Karin Pfammatter und Ingo Tomi in "Puppen" am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Revolution mit Tauchsieder

Kevin Rittberger: Puppen

Theater:Düsseldorfer Schauspielhaus, Premiere:15.12.2011 (DE)Regie:Kevin Rittberger

Der junge Kevin Rittberger (Jahrgang 1977) gehört zu den Autoren, die sich jenseits theatraler Befindlichkeitswatte dezidiert mit politischen Themen auseinandersetzen und dies bis in die dramatische Form hineinbuchstabieren. Ob er sich mit afrikanischen Flüchtlingen („Kassandra“), mit dem Untergang einer traditionellen Kunstform („Fast Tracking“) auseinandersetzt oder als Regisseur Texte von Alexander Kluge auf die Bühne bringt, sein Interesse strandet nicht an Beziehungsleid und Paarungsfrust. Das neue Stück „Puppen“, das nach der Uraufführung am Wiener Schauspielhaus nun als deutsche Erstaufführung in Düsseldorf herauskam, wirkt auf den ersten Blick verblüffend luftig. Neun Szenen zwischen einem „Klandestino“, einer Frisörin, einem Metzger, einer schwindeligen Frau und einem „Chor, der die Arbeit abschafft“; lauter windschiefe, fragmentierte Dialoge, frei von jedem Sozialrealismus und doch analytisch geschärft: eine surreal durchlüftete Bestandsaufnahme gesellschaftlich-ökonomischer Verhältnisse.

Anders als Robert Borgmanns Inszenierung in Wien reichert Rittberger als sein eigener Regisseur das Stück zur „musiktheatralischen Installation“ an. Der Abend im Düsseldorfer Kleinen Haus beginnt mit einer regelrechten Ouvertüre. Der Komponist Hauschka hat einen etwa zehnminütigen Orchestersatz für fünf Streicher, drei Blechbläser, Percussion und präpariertes Klavier geschrieben, der zwischen Hanns Eisler und Minimalmusic changiert. Die live gespielte Ouvertüre wird aufgenommen und von dem Fotografen und Musiker Stefan Schneider anschließend als geräuschhaft verfremdetes Musikmaterial in die Spielszenen eingespielt. Schon dieser Auftakt setzt ein Signal für eine deutlich brechtisch inspirierte, aber weit über den Klassiker hinausgehende Gesellschaftsanalyse mit hoher Trefferquote. Der Klandestino (Ingo Tomi), der sich liliomhaft zum Kriminellen stilisiert, arbeitet sich an einem von drei Gittertürmen (Bühne: Jutta Zimmermann) ab und trifft auf eine Frisörin im violetten Lederbody (Elena Schmidt). Mit traumhaft geschlossenen Augen dialogisieren sie sich zueinander, schlafen miteinander und trennen sie wieder. Es ist ein zartes Gespräch zweier menschlicher Trabanten, voller Auslassungen und Lücken. Brillant dann die Szene mit der „Frau, die vom Schwindel überfallen wird“ (Karin Pfamatter mit luftgeistiger Anmut). Sie hat zum ersten Mal an einer Demo teilgenommen und blättert nun ein Psychogramm bürgerlichen Protestgebarens auf, das von ihren Idiosynkrasien gegen Lautstärke bis zum Vergleich des Widerstands mit einem Tauchsieder reicht – ihr Schwindel entlarvt, angebliche Schwangerschaft hin oder her, den derzeitigen gesellschaftlichen Taumel der Mittelklasse. Fast grotesk dann ihre Begegnung mit dem Fleischer, der keine Ware zu verkaufen hat und trotzdem seiner Arbeit nachgeht. Rainer Galke im grauen Schlachteroutfit klammert sich kühl an seine Ordnungsliebe wie an eine Psycho-Leitplanke, verkauft dann Fassbrause an den Clandestino und steigert sich in den Traum einer 90 Meter langen Wurst hinein, die den Hunger der Welt stillen soll. Rittberger mixt hier vom Marx’ Warenfetisch bis zu Adam Smith’ „unsichtbarer Hand“ des Marktes viel Theorie zusammen zu einer traurig-rührenden „I have a dream“-Paraphrase. Beendet wird sie von einem „Chor, der die Arbeit abschafft“ (Markus Danzeisen), einem Beratungsphrasendrescher („ihre Meinung ist uns wichtig“) in asiatisch anmutender historischer Tracht, der zwischendurch auch die Szenen ansagt.

Rittberger rückt seine eigene Inszenierung stark ins ästhetisch Formale, dadurch geht ihm mitunter die Leichtigkeit etwas verloren. Was an dem Abend trotzdem fasziniert, ist die Bereitschaft des Autors, den eigenen Text in ein ästhetisches Bezugsnetz (Brechts Theorie der „Schwesterkünste“ lassen grüßen) mit drei gleichwertigen Teilen zu stellen. Ouvertüre und Stück werden schließlich durch einen Vortrag von Stefan Schneider mit Videobildern aus Düsseldorf in der Tradition der amerikanischen New Topographic-Fotografen am Ende sogar zum Triptychon erweitert und kommentieren sich so am Abend immer wieder gegenseitig. Sehenswert.