Die neue Intendanz am Schauspiel Stuttgart beginnt mit einer Familiengeschichte, die es in sich hat. Wajdi Mouawad verknüpft in „Vögel“ – wie schon in seinem Erfolgsstück „Verbrennungen“ – die Aufarbeitung komplexer Familienverhältnisse mit dem Nahost-Konflikt, und zugleich mit den Sehnsüchten und Ängsten in den Westen emigrierter Familienmitglieder. Der Beginn von Kosminskis Auftaktinszenierung ist aber auch ausgesprochen höflich – und polyglott: „Excuse me.“ Der junge Naturwissenschaftler Eitan verliebt sich in einer New Yorker Bibliothek in die Doktorandin Wahida. In Mouawads geschickt gebautem Werk, das Erzählkunst und filmische Szenenüberblendung zu einem stringenten Erzähltheater verbindet, überbrückt das Liebespaar wie im Flug zwei Jahre.
Bei einer zentralen Familienszene am Esstisch versammelt der Berliner Eitan mit jüdischen Wurzeln dann seine Eltern und den Großvater zur Vorstellung der Freundin. Doch Wahida kommt gar nicht zu Tisch, sie muss im Treppenhaus die Auseinandersetzung zwischen Vater David und Eitan mitanhören. David entwirft als gebürtiger Israeli ein ob der Vergangenheit und aktuellen Bedrohung der Heimat verständliches, aber auch brutales, alle anderen ausschließenden Gesellschafts- und Familienbild. Eitan setzt seine bedingungslose Liebe zur arabischstämmigen Wahida dagegen. Mutter Norah, deren Eltern ihr Judentum gegen den Glauben an den Kommunismus eingetauscht hatten, will ihm ersparen gegen den Willen der Eltern zu heiraten und stellt sich so familiendialektisch gegen ihn. Schon wenig später liegt Eitan in Israel im Krankenhaus, nachdem er bei einem Bombenattentat verletzt wurde. Nun spürt Wahida seine Großmutter auf, sie hatte David und seinen Vater vor langer Zeit weggeschickt. Und langsam schält sich heraus, dass der kompromisslose Israeli David eigentlich ein palästinensischer Bauernjunge ist, der von Großvater Etgar in einem eroberten Dorf gefunden wurde – und wohl aus Erschöpfung adoptiert wurde. Was für ein Drama, in dem sich Familie und Weltpolitik verbinden! Nach diesem Schock stirbt David an einem Schlaganfall, nicht ohne im Koma den Grenzgänger Al-Hasan Al-Wazan aus dem 15. Jahrhundert zu sprechen, über den Wahida forscht.