Foto: "Der DreiGroschenOpa" am Nürnberger Theater Mummpitz. © Thomas Riese
Text:Manfred Jahnke, am 18. Oktober 2020
Eigentlich wollte das Theater Mummpitz in Nürnberg sein 40jähriges Jubiläum groß feiern. Daraus wurde nun erst einmal nichts. Die Hygienemaßnahmen ließen nur einen kleinen Empfang mit kabarettistischen und musikalischen Einlagen zur Geschichte des Theaters zu. Macht aber nichts, wenn sich das Ensemble, wie in Nürnberg geschehen, selbst derart mit einer neuen Produktion beschenkt. In „Der DreiGroschenOpa“, von Sabine Zieser und Michael Schramm – vor vierzig Jahren Mitgründer des Mummpitz – für alle ab sechs Jahren konzipiert, bündelt Regisseurin Andrea Maria Erl zusammen mit den Spielerinnen und Spielern das, was die Marke „Mummpitz“ seit Jahrzehnten ausmacht: Wichtige gesellschaftliche Themen werden spielerisch leicht mit viel Musikalität umgesetzt.
Mit einfachen rollbaren Wänden, hier sind es Fenster verschiedener Bauart, ermöglicht die Bühnenbildnerin Maria Pfeiffer schnelle Szenenwechsel: Mal wird ein Raum als Küche erschaffen, mal aus den Fensterattrappen eine Drehtür gezaubert. Mit zwei einfachen Stühlen dazu entsteht ein Polizeirevier, und hinter einem kleinen roten Theatervorhang verbirgt sich zu Beginn das Porträt eines Mannes, über das drei Groschen verteilt sind. Es sind drei über Generationen vererbte Notgroschen, die nur im äußersten Notfall gebraucht werden sollen.
Was aber soll man machen, wenn man als Opa (erfolgloser) Dichter und nicht gerade ein Ordnungsfanatiker ist, plötzlich drei Enkel versorgen muss, weil die Mutter im Krankenhaus ist und dann auch noch eine hartnäckige Fürsorge vor dem Fenster, pardon: Türe steht? Und ein verhaftungsfreudiger Polizist ständig Opa Bert und Fürsorgerin, an Handschellen zusammengefesselt, aufs Revier bringt? Da muss man zu den drei Groschen greifen, die ja im Cent-Zeitalter nichts mehr bedeuten und auch eigentlich schon von allein aus dem Rahmen fallen. Und der Dichter-Opa geht damit auch nicht etwa einkaufen, sondern verteilt sie einfach so: Sie sind kein Zahlungsmittel, sondern haben magische Kraft; da wird alles ganz leicht, beginnt zu fliegen, die strenge Fürsorgerin wird plötzlich nett und die Welt um Opa scheint nun nicht mehr aus den Fugen. Zumal er am Ende erfährt, dass sein Stück „Der DreiGroschenOpa“ zur Uraufführung angenommen ist und auch ein Scheck dabei liegt. Die Macher vom Theater Mummpitz lieben solche selbstreferentiellen Bezüge.
Es ist bewundernswert, wie musikalisch dieses Ensemble ist, das Instrumente wie Akkordeon, Trompete, Schlagzeug und Gitarre beherrscht. Der Liechtensteiner Komponist Marco Schädler – „Der DreiGroschenOpa“ ist eine Koproduktion mit dem TAK Theater in Liechtenstein – hat dazu eine Musik geschaffen, die sehr melodiös ist, manchmal sehr verfremdete Anleihen macht bei der „Dreigroschenoper“ und dabei sehr geschickt am Können des Ensembles andockt. Nicht zufällig knüpft der Abend dabei in zwei Punkten an Brecht an: einmal inhaltlich am Thema der Armut, genauer der Kinderarmut in einer Gesellschaft, die nichts unternimmt, um die Schere zwischen Arm und Reich aufzuheben. Zum anderen an der Spielform, die sich die Unterhaltung im Sinne von Horkheimer und Adorno positiv aneignet, um die bittere gesellschaftliche Botschaft über die Rampe zu transportieren. Was insofern nicht affirmativ wirkt.
Fast seit den Anfängen der 40jährigen Ära des Theater Mummpitz ist Michael Bang dabei, der den dichtenden Opa spielt, der seiner Würde sehr bewusst ist. Im Kostüm (von André Schreiber) erscheint er als Dandy mit grauen Schläfen, dem eigentlich nichts etwas anhaben kann. Da muss sein Gegenpart – Christine Mertens als Fürsorgerin – schon sichtlich dagegensetzen. Die Fürsorgerin verwandelt sich von der verbissenen strengen Beamtin hin zu einer Frau, die Empathie empfinden kann. Was klischeehaft klingt, wirkt in ihrem Spiel überhaupt nicht so, es macht ungemein Spaß zuzusehen, wie Mertens das „Amtsmäßige“ zunehmend abzustreifen versucht. Gabriel Drempetic als der quengelige Jüngste, Özgür Kantar als Karl (11) und Sabine Zieser als pfiffige Schwester (9) spielen die drei Kinder, die eigentlich immer nur reagieren können auf das, was die Erwachsenen anrichten. Ihnen hat die Regie sprachliche Feinheiten verpasst, in der Wiederholung von Sätzen, aber auch in den Fragen des Jüngsten, die immer genau den Punkt treffen. Michael Schramm wiederum spielt mitunter den Polizisten, karrieregeil, tragisch-komisch in seinen eigenen Ansprüchen verstrickt, so verbohrt, dass man fast mit ihm mitleiden möchte, wenn er nicht gleichzeitig so engstirnig agieren würde.
Das gelingt Andrea Maria Erl in ihrer Inszenierung durchgängig: Sie lässt mit den Figuren mitfühlen, verrät sie in keiner Sekunde – und lässt doch durch das Lachen Distanz zu. Eine Arbeit, die beglückt und auf eine grandiose Feier zum 50jährigen Bestehen hoffen lässt!