Foto: Chorszene aus Marc Adams Inszenierung der monumentalen Ausgrabung "Agnes von Hohenstaufen" © Lutz Edelhoff
Text:Joachim Lange, am 4. Juni 2018
Monumentale Ausgrabung in Erfurt: „Agnes von Hohenstaufen“, das Mittelaltermonstrum des ersten preussischen GMD, Gaspare Spontini, neu inszeniert von Marc Adam
Manchmal ist ein Haus fast zu klein für die Oper, die es aufnimmt. In Erfurt ist man in dieser Beziehung noch nie zimperlich gewesen. Mit dem Mut zu Uraufführungen und Ausgrabungen geht man immer wieder an die Grenzen. Und hat Recht damit. „Agnes von Hohenstaufen“ von Gaspare Spontini (1774-1851) ist so ein Fall, die letzte „große historisch-romantische Oper“ des aus Italien stammenden französischen Komponisten. Als die Hohenzollern mit dieser europäischen Berühmtheit Glanz in die brandenburgische Hütte bringen wollten und ihn 1820 nach Berlin holten, wurde eigens der Titel des Generalmusikdirektors für ihn erfunden. Klingt schon preußisch. 1827 (Webers „Freischütz“ gab es da schon sechs Jahre) erfüllte der oberste Musikbeamte im Staate auch die Erwartungen als Komponist und lieferte.
Schon dem Libretto von Ernst Raupach und Carl August von Lichtenstein merkt man den Auftraggeber an. Viel Feind, viel Ehr‘. Und am besten erst draufhauen und dann nachdenken. Der Konflikt zwischen Welfen und Hohenstaufen, zwischen Kaiser und Fürstenmacht wird zur Folie einer Romeo-und-Julia-Story, die ziemlich viele Haken schlägt. Das ist keine Räuberpistole, das hat das Format einer Räuberkanone. Heute wirken die vielen jähen Wendungen eher unfreiwillig komisch. Noch dazu, wenn man sie so todernst nimmt, wie der Regisseur Marc Adam und seine Ausstatterin Monika Gora. Wobei deren Kostümorgie und die Videos von Holger Bück immerhin einen Brückenschlag in Richtung Nachvollziehbarkeit und rationalem Kern versuchen. Sie spiegeln die Geschichte aus dem zwölften in den Beginn des zwanzigsten Jahrhundert. Kaiser Heinrich VI. gibt hier einen Wutfürsten a la Wilhelm II. Seinem Hang zu Basta-Todesurteilen über echte oder vermeintliche Rebellen fallen immer wieder die Fürsten des Reiches in den Arm. Vor allem, wenn es mit Agnes Lover Heinrich einen der ihren treffen soll.
Es ist erstaunlich, wie steif und unbeweglich man rumstehen und sich nur aufs Ausstellen der bunten Kostüme beschränken kann, wenn um die Beschränkung willkürlicher Machtfülle des Monarchen gerungen wird. Mit Personenregie hätte das das Zeug zum Thriller. So bleibt der (echte) Adler, der zum Auftakt über unsere Köpfe auf die Bühne segelt, der Clou zwischen den wandelbar wuchtigen Kulissenmauern….
Musikalisch ist das Ganze ein Abenteuer der besonderen Art mit dem gewaltigen Aufwand einer staatstragenden preußischen Nationaloper. Und mit vielen Déjà-vu-Effekten für den Hörer von heute. Während der über drei Stunden gibt es jedenfalls viele hübsche „Schau-an“- Momente für alle Freischütz- und Lohengrin-Fans. Bei der Frage, wer sich da von wem inspirieren ließ, ist zumindest Weber als unmittelbarer Konkurrent Spontinis aus dem Schneider. Doch auch wenn man an diesem Abend oft daran erinnert wird, wie später in Wagners Lohengrin zum Schwert gegriffen oder zur Hochzeitsnacht geschritten wird, ist das doch eine andere Qualität. Im Programmheft liest man Wagners Notiz über ein Gespräch mit Spontini, das von heute aus betrachtet ziemlich schräg wirkt. Da rät Spontini seinem jüngeren Kollegen nämlich davon ab, den eigenen Weg als Komponist weiterzugehen, weil über seine Agnes doch nichts hinausgehe… Mal eine gute Gelegenheit mit Wagner gemeinsam innerlich zu grinsen.
In Erfurt wurde jetzt die dritte Fassung von 1837 erstmals wieder in deutscher Originalsprache samt der lange Zeit verschollenen Ouvertüre aufgeführt. Das, was die griechische Dirigentin Zoi Tsokanou mit den Musikern des Philharmonischen Orchesters Erfurt und Mitgliedern der Thüringer Philharmonie Gotha-Eisenach entfesselt, ist im Grunde ein musikalisches Dauerfeuer. Dazu kommt die Stadtharomonie Erfurt, deren 20 Bläser mit ihrer Imitation eines Orgelklangs vom Rang aus die Bühnenmusik und einen besonderen Raumklangeffekt beisteuern. Auch der Opernchor ist durch Mitglieder des Philharmonischen Chores Erfurt aufgerüstet – da ist jede Menge Umsicht nötig, um alles zusammenzuhalten. Was mitunter auf Kosten der Differenzierung und der Profilierungsmöglichkeiten der Protagonisten geht. Obendrein kommen bei Spontini auch die banalsten Wendungen im großen Ornat daher. Neben dem Hang zur eingängigen Melodie schimmert immer wieder routiniertes Handwerk allzu deutlich durch.
Máté Sólyom-Nagy als Kaiser und auch Siyabulela Ntlale als der in die „innerdeutschen“ Machtkampf grätschende Franzosenkönig Philipp August kommen damit erwartungsgemäß vokal noch am besten klar. Auch der markige Todd Wilander als Bruder des Kaisers, Margarethe Fredheim (mit Entschlossenheit und klarer Höhe) als Mutter der Titelheldin Irmengard, Caleb Yoo als Burggraf des Kaisers und Kakhaber Shavidze als machtvoller Erzbischof von Mainz überzeugen. Der Kirchenmann vollzieht auch die heimliche Trauung von Agnes von Hohenstaufen mit dem Welfen-Sohn Heinrich. Claudia Sorokina und Bernhard Berchtold haben vor allem vokal einige Mühe, ihre deutsche Romeo-und-Julia Variante gegen den Orchestersturm zu behaupten.
Das Finale, bei dem der Kaiser ein Einsehen hat, die Fürstenrevolte abgewendet wird, der Franzosen-König verzeiht, was zu verzeihen ist, das Liebespaar zueinander findet und alle zusammen scharf auf einen Krieg in und um Sizilien sind, kommt in dieser Oper ziemlich mit der Brechstange – auf der Bühne mit einem Wilhelm II. auf dem Denkmalssockel und dem Kanonendonner des Ersten Weltkriegs. Also mit einem Happyend, das nun wirklich keins ist. Erfurt hat sich als Haus für Ausgrabungen blendend geschlagen. Jeder kann sich dort nun mal ein Großwerk aus Preußens Vergangenheit zu Gemüte führen, was wohl künftig wieder in der Versenkung verschwinden wird.