Foto: Marion Wulf (Agatha Christie) geht den Dingen auf die Spur. © Clemens Heidrich
Text:Andreas Berger, am 11. Oktober 2025
Das Theater für Niedersachsen in Hildesheim holt die Krimiqualitäten des Kammermusicals „Vermisst! Was geschah mit Agatha Christie?“ heraus. Dabei überzeugen besonders die verzwickte Handlung sowie das spielbegeisterte Ensemble.
Wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet in der Biografie Agatha Christies, einer der bekanntesten Krimiautorinnen, schwarze Flecken gibt. Oder vielmehr einen großen weißen Fleck. Denn im Jahr 1926 war sie für elf Tage verschwunden. Als sie in einem abgelegenen Hotel in Yorkshire ausfindig gemacht wurde, gab sie Gedächtnisverlust für diesen Zeitraum an. Hätte man das einer ihrer Romanfiguren geglaubt?
Entsprechend vielfältig sind die Spekulationen, die bereits in Büchern und einem Film mit Vanessa Redgrave künstlerische Gestalt bekamen. Und 2023 auch in dem Musical „Vermisst! Was geschah mit Agatha Christie?“, für das James Edward Lyons das Buch und Paul Graham Brown die Songtexte und Musik geschrieben haben. In der schnieken Studiospielstätte „Thim“ (Theater im Malsaal) des als Landesbühne auch reisenden Theaters für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim war es nun in einer angemessen unaufwendigen, aber prägnanten Neuinszenierung zu sehen.
Inszenierung mit Liebe zum Detail
Das „TfN“ ist ja nicht nur für seine spannenden Opernausgrabungen wie zuletzt den sehenswerten „Till Eulenspiegel“ des leider ziemlich vergessenen Nikolaus von Reznicek (1860–1945) bekannt und seine Idee, Themen als Trilogie in Versionen dreier Sparten anzubieten. Es hat seit 2007 auch als einziges subventioniertes Theater Deutschlands eine eigene Musical-Compagnie. Da gibt es dann nicht nur die große Show, sondern auch so ein kompaktes Kammermusical wie „Vermisst!“, das ebenfalls auf Tournee geht.
Auf der kleinen Bühne des „Thim“ heißt das: ein Podest für kulissenlose Auf- und Abtritte im Haus der Christies oder auch auf dem Golfplatz, und eins eingerichtet mit Klapptisch und Safe für alles, was im Old Swan Hotel spielt. Agatha Christies Unterkunft in jenen mysteriösen elf Tagen. Ausstatterin Patrizia Bitterich bringt die durchaus komplizierte Kriminalhandlung so auf zwei Ebenen.
Gewitztes Ensemble
Die Inszenierung von Jana Lindner ist wie in solcher Kammerspielsituation logisch ganz auf die schauspielerische Gestaltung ausgerichtet. Besonders Marion Wulf in der Hauptrolle der Agatha Christie weiß hier alle Register eines überzeugenden, aber eben auch nicht überzogenen charakterisierenden Spiels zu ziehen. Man erlebt sie als liebende Frau, die sich von der Untreue ihres Gatten Archibald überzeugen muss. Brillant lässt sie die Rivalin Nancy Neale ihre innerlich längst nicht mehr so sichere Überlegenheit spüren. Marion Wulf kann da very british und süffisant sein. Und dann ist sie ja auch noch wie ihre Figur der Miss Marple als Selbstermittlerin im Old Swan unterwegs, immer kurz vor der Entdeckung.
Denn während sie die Affäre ihres Gatten aufdeckt, stößt sie auf Ungereimtheiten, die sie auf die Spur eines noch ungelösten Kriminalfalls bringen. Wie sehr sie privat darin verwickelt ist und wird, sei hier nicht verraten, es ist tatsächlich spannend wie in einem Agatha-Christie-Krimi. Und sie hat in dem flexiblen Jack Lukas als Hotel-Faktotum John auch hier einen Rivalen, der ihr wie Hercule Poirot auf den Fersen ist. Schön pointiert auch, wie Lukas den ermittelnden Inspektor im Hause Christie spielt. Daniel Wernecke gibt nonchalant den Gatten, der in seiner Liebe noch hin- und hergerissen ist. Annemarie Purkert mit anfangs etwas zu naivem Ton findet sich in die Rolle der Störenfriedin Nancy, die am Ende Rührendes zu verbergen hat.
Die Musik von Brown kommt allein vom Klavier. Da leistet Simon Asmus, noch dazu als vorzeitiger Einspringer, ganze Arbeit. Er gibt dem Ganzen Sicherheit und Drive. Sehr abwechslungsreich ist die Partitur nicht. Es herrscht ein antreibender Rhythmus vor, der viel Singparlando verlangt. Lyrisches läuft immer auf langangehaltene Schlussnoten mit Endreim hinaus. Es ist hier mehr der gut ausgedachte Krimi, der begeistert. Und die Darstellercrew. Wie es wirklich war, hat Agatha Christie die Person selbst nie preisgegeben.