Elisa Badenes als Salome beim ”Tanz der sieben Schleier" mit Apfel.

Party im Hause Herodes

Demis Volpi: Salome

Theater:Stuttgarter Ballett, Premiere:10.06.2016 (UA)Musikalische Leitung:James TuggleKomponist(in):John Adams/Vladimir Martynov/Tracy Silverman

Er hat es wieder geschafft: Nach dem Publikumserfolg „Krabat“ (2013) hat der Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts Demis Volpi erneut ein Handlungsballett geschaffen – und mit Oscar Wildes „Salome“ einen literarischen Stoff gefunden, der sich als prädestiniert für den Tanz erweist. Damit hat der mittlerweile international erfolgreiche Absolvent der John Cranko Schule feinen künstlerischen Instinkt bewiesen.

Mit frechem Pagenschnitt, Hotpants und infantiler Leichtigkeit mischt Elisa Badanes als Salome das Leben im Hause des Tetrarchen Herodes auf, wo der Prophet Jochanaan im Kerker gefangen gehalten wird. Auf Geheiß von Herodes darf keiner zu ihm, doch Salome bezirzt einen jungen Syrer so lang, bis jener das Verbot bricht und Jochanaan nach oben holt. Demis Volpi hat ein Händchen für diese kurzen Pas de deux, vermag in winzigen Bewegungssequenzen mehr zu erzählen als durch Tausend Worte. Wie Salome dem jungen Diener den Fuß entgegenstreckt, ihm verführerisch sanft auf die Schultern legt, nur um ihn sogleich damit nach unten zu drücken und über ihn drüberzusteigen in Richtung Jochanaan, ist verblüffend.

Die leere Bühne, einzig dominiert von einer gewaltigen schwarzen Treppe im Hintergrund (Kostüm und Bühne: Katharina Schlipf), gewährt beim Hochfahren einen Einblick in den Kerker darunter. Hier hängt der Prophet (David Moore) kopfüber mit den Beinen an einer Leiter, zuckend sich windend, erbarmungswürdig. Zum großen Tacet der sonst vor allem rhythmisch getragenen Musikauswahl unter Leitung von James Tuggle (John Adams, Vladimir Martynov, Tracy Silverman – leider keinerlei Strauss) steigt er wolldeckenummantelt die Leiter nach oben, sucht zu Boden gekrümmt Salomes aufdringlichen Blicken, dann gar ihren Lippen auszuweichen, steigt schließlich – nach pathetischen Kreuzigungsgesten am Boden – freiwillig zurück hinab.

Salome bleibt gelangweilt auf der Palasttreppe hocken, während eine orgiastische Party zur E-Violine ihren Lauf nimmt. Auch große Ensemble-Show kann Demis Volpi! König Herodes (Roman Novitzky) wird, mit Sonnenbrille, rotem Samtjacket und Silberkettchen, als alter geiler Bock im Rollstuhl die Treppe herabgetragen, seine Frau Herodias (Miriam Kacerova) folgt tändelnd mit ihrem Hofstaat aus schwulen Sexsklaven und Anzugtypen, rote Äpfel werden betörend symbolträchtig von Mund zu Mund gereicht, bis jeder über jeden herfällt. An den Rollstuhl gefesselt, kann Herodes nur begierig lüstern zusehen. Diese Sodom und Gomorra-Szene ist hier wohl auch als Andeutung auf Oscar Wildes Homosexualität zu sehen, die ihm Zuchthaus, Zwangsarbeit und letztlich mit nur 46 Jahren den Tod brachte.

Das Drama nimmt seinen Lauf. Salomes berühmten Tanz der sieben Schleier, den Herodes von ihr einfordert und für welchen sie den Kopf des Jochanaan als Lohn beansprucht, ist ein sexuell aufgeladenes Solo mit rotem Apfel, für das Elisa Badanes erstmals am Abend ihre Spitzenschuh auszieht, um mit nackten Füßen filigrane Sprünge zu vollführen und ihre eckigen, frechen Verführungsgesten gen Herodes zu schicken. Der Schleier ist lediglich präsent in den Händen von Primaballerina Alicia Amatriain, die über den gesamten Abend symbolschwer, fast meditativ den Mond vertanzt mit schier endlosen Hüftdrehungen und der wiederholten Mondsichel-Haltung ihres gesamten, biegsamen Körpers.

Als Salome endlich ihr Ziel erreicht hat und den abgeschlagenen Kopf des Propheten auf einer Silberschale präsentiert bekommt, steigert sich ihre Wollust ins Extatische. Sich den blutüberströmten Kopf erst nur an den Mund, dann an den Körper und schließlich in den Schritt reibend, verliert sie im Begehren den letzten Trotz. Schlussendlich, als die Erschöpfung sie überkommt, liegt sie da mit dem blutverschmierten Kopf kuschelnd wie ein müdes Kind mit seinem Teddybären. Herodes heiseres „Tötes dieses Weib!“ hallt nach, während er im Rollstuhl fortgetragen wird.

Leider hat der Abend Längen, einige Soli hätten deutlich kürzer ausfallen dürfen. Im Ganzen jedoch dürfte das Stuttgarter Ballett zum Spielzeitabschluss einem weiteren, großen Publikumserfolg entgegensehen.